Disruptive Innovation: Definition und praxisnahe Beispiele für dein Unternehmen

Von Stefan Turiak
Aktualisiert am 05.01.2024 | Lesezeit ca. Min.

Der Begriff „Disruptive Innovation“ wird oft als Synonym für scheinbar plötzlich auftretende Erfolge genutzt. Das greift allerdings etwas zu kurz. Die Bezeichnung stammt vom mittlerweile verstorbenen Clayton M. Christensen. Der Wirtschaftswissenschaftler der Harvard Business School, Autor und Unternehmensberater beschrieb hiermit eine zerstörerische und gleichzeitig schöpferische ökonomische Kraft. 

Wir möchten uns im folgenden Artikel damit beschäftigen und einige einschlägige Beispiele vorstellen: Erfindungen und Geschäftsstrategien, die bestimmte Märkte und die Welt für immer verändert haben. Abschließend sollst du selbst erfahren, wie du am besten vorgehen kannst, um interessante und wachstumsfördernde Innovationen zu entwickeln.

Disruptive Innovation – eine Definition

Disruptive Innovatoren betreten oft Marktsegmente und konzentrieren sich auf Kunden, denen wenig Beachtung geschenkt wird. Das heißt meist auch, dass es sich um besonders niedrigschwellige Märkte handelt, die einen verhältnismäßig leichten Einstieg erlauben.

Unternehmen, die sich der disruptiven Innovation verschrieben haben, arbeiten kontinuierlich daran, diese vernachlässigten Kundensegmente anzusprechen, indem sie beispielsweise einen vorhandenen Service verbessern oder gänzlich neue Erfindungen präsentieren.

4 Merkmale disruptiver Innovation

Zu Beginn ist ein Unternehmen mit seiner disruptiven Innovation den bestehenden Produkten und Dienstleistungen auf dem Markt oft technisch unterlegen. Es wird lediglich ein kleines, wenig profitables Kundensegment bedient. Etablierte Firmen und Konzerne konzentrieren sich dagegen auf Verbraucher, die höhere Gewinne versprechen. Diese Kunden entscheiden sich im Gegenzug meistens für die bereits etablierte Marke, mit der sie bereits vertraut sind. Das gilt sogar, wenn der Emporkömmling schon eine fortschrittlichere Technologie zu bieten hat.

Sobald die disruptive Innovation an die Erfolge von alteingesessenen Firmen anknüpft, entdecken Kunden dieser Firmen die Neuheit des Innovators für sich. Die Adaption der Innovation von Seiten der Alteingesessenen geschieht allerdings häufig zu spät. Der neue Wettbewerber konnte nämlich schon viel Erfahrung sammeln und sich Expertise auf seinem Gebiet aneignen. Außerdem konzentriert er sich schon eine Weile auf die Optimierung seines Angebots.

icon

Dem trägen Konzern immer einen Schritt voraus

Die Entwicklung neuer Produkte erfordert viel Zeit, Aufwand und Ressourcen. Letzteres steht bereits erfolgreichen Marktteilnehmern zwar zur Verfügung. Meist fehlt es einem großen und unflexiblen Konzern allerdings an Dynamik, um den Vorsprung des neuen Konkurrenten aufzuholen.

Er ist außerdem von Stammkunden und Investoren abhängig, was zu einer geringeren Risikofreude führt. Für ein eventuelles Scheitern besteht kein Freiraum und kein Plan. Ihm ist mehr daran gelegen, den Status quo zu bewahren und Aktienkurse auf einem bestimmten Niveau zu halten. Oftmals sind alteingessene Unternehmen auch zu selbstsicher und unterschätzen gar den neuen Wettbewerber. Wer den Neuling belächelt, hechelt ihm eventuell bald hinterher.

Christensens Konzept wird oft missverstanden und fälschlicherweise als Beschreibung für Unternehmen verwendet, die einen kometenhaften Aufstieg verzeichnen können. Er bezeichnete seine Theorie in einem Havard-Business-Review-Artikel deswegen als Opfer ihres eigenen Erfolgs.

Christensen grenzt daher die disruptive Innovation von zwei weitere Innovationstypen ab:

  1. Die Effizienz-Innovation sorgt mit der Einführung neuer Technologien, Maßnahmen oder Strategien dafür, dass sich die Leistungen innerhalb des Unternehmens verbessern, etwa im Fertigungs- oder Vertriebsbereich.
  2. Die inkrementelle Innovation (auch erhaltende Innovation genannt) optimiert ein bereits vorhandenes, qualitativ hochwertiges Produkt.

Bevor „disruptive Innovation“ zu einer Modebezeichnung und einer Geschäftsstrategie heranwuchs, handelte es sich lediglich um eine Hypothese. Hiermit wollte Christensen herausfinden, wie neue Unternehmen ihr Wachstum beschleunigen, die Bedürfnisse ihrer Kunden stillen und etablierte Marktteilnehmer verdrängen.

Disruptive Unternehmen folgen immer auf die ein oder andere Weise einer bestimmten Reihenfolge von Prozessschritten. Das Konzept hat sich mittlerweile als Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Eroberung diverser Märkte etabliert.

Beispiele für disruptive Innovation

Es gibt zahlreiche Beispiele für erfolgreiche disruptive Innovationen, an denen sich das Konzept in der Wirtschaftsrealität festmachen lässt. Die folgenden Unternehmen und Erfindungen haben unterschiedliche Wirtschafts- und Technologiebereiche nachhaltig geprägt. 

Netflix: Platzhirsch des Streamings

Disruptive Innovation Screenshot Netflix

Es existiert kaum ein Unternehmen, welches das Prinzip der disruptiven Innovation besser demonstriert als Netflix. Filmfans mussten sich jahrelang VHS-Kassetten und DVDs aus Videotheken ausleihen oder in einem Fachgeschäft kaufen, um sich zuhause Filme und Serien ansehen zu können.

Netflix machte sich jedoch die Vorzüge des Internets zunutze. Zunächst konnten sich Kunden auf der Website des Unternehmens DVDs aussuchen und per Post nach Hause senden lassen. Nach ein paar Tagen mussten sie die Scheiben wieder in einem frankierten Rückumschlag zurücksenden.

Mit dem Aufkommen einer schnelleren Datenübertragung verlagerte sich die Online-Videothek langsam auf das Streaming. YouTube feierte zwar zuvor schon Streaming-Erfolge mit User-generiertem Content, bei Netflix konnten Nutzer aber professionell produzierte Filme und Serien auf Knopfdruck abrufen, ohne das Haus zu verlassen.

Disruptive Innovation Screenshot Netflix

Die Videoverleihbranche und insbesondere der US-Marktführer Blockbuster nahm die neue Konkurrenz zunächst nicht ernst. Erhebliche Gewinneinbußen für alteingesessene Videoverleiher waren die Folge. Mittlerweile stellen Videotheken bestenfalls eine Rarität dar. Selbst die Kinobranche hat schwer mit der Streaming-Konkurrenz zu kämpfen. Inzwischen haben zahlreiche etablierte Medienunternehmen ihre eigenen Streaming-Services entwickelt – mal mehr und mal weniger erfolgreich.

Airbnb: Neue Spielregeln für das Übernachten in einer anderen Stadt

Disruptive Innovation Screenshot airbnb

Die Idee zu Airbnb entstand, als die beiden Gründer und ehemaligen Schulfreunde Brian Chesky und Joe Gebbia im Jahr 2007 in die Großstadt San Francisco zogen. Zu dieser Zeit bekamen sie zufällig mit, dass eine große Konferenz innerhalb der Stadt stattfinden sollte und dass alle Hotelzimmer ausgebucht waren. Kurzerhand boten sie ihre eigene Wohnung als Übernachtungsmöglichkeit an. Die Gäste mussten allerdings auf Luftmatratzen schlafen – daher auch das „Air“ in Airbnb.

Weitere Buchungen ließen nicht lange auf sich warten. Chesky und Gebbia sammelten außerdem erste positive Erfahrungen als Gastgeber. Sie beschlossen, die Idee weiterzuentwickeln und andere Städte anzuvisieren. Ihnen fehlte es jedoch an Finanzierungsmöglichkeiten und die Geschäftsidee erwies sich für viele Menschen als gewöhnungsbedürftig. Die Finanzkrise von 2008 führte aber dazu, dass viele Menschen ein zusätzliches Einkommen benötigten.

Disruptive Innovation Screenshot airbnb

Airbnb konnte sich erste Venture-Capital-Investitionen sichern und konzentrierte sich auf Reisende, die eine günstige Alternative zu einem kostspieligen Hotelaufenthalt suchten. Diese Suchenden brachten sie mit Gastgebern zusammen, die ihnen zudem ermöglichten, die einheimische Lebensart der jeweiligen Stadt kennenzulernen.

Hierdurch entstand ein positiver Netzwerkeffekt und viele Nutzer bewegten andere Personen zu einem Beitritt. Airbnb Plus und Airbnb Luxus zielten später auf hochwertigere Kundensegmente ab. Die Firma bietet mittlerweile fünf Millionen Unterkunftsmöglichkeiten in 81.000 Städten an und stellt damit mehr Zimmer zur Verfügung als jede international operierende Hotelkette.

Bei Airbnb handelt es sich um einen umstrittenen Fall. Christensen selbst sah die Plattform nicht als ein Paradebeispiel für eine disruptive Innovation an. Sein Grund: der Anbieter nutzt bereits vorhandene Mittel und Wohnraum einfach nur auf eine andere Art und Weise. Hotelimmobilien und Personal sind allerdings nicht vorhanden. Es handelt sich definitiv um einen interessanten Grenzfall im Innovationsbereich.

Apple iTunes: Wer braucht schon illegale Downloads?

Disruptive Innovation Screenshot Apple iTunes

Die Innovation von Technologie-Platzhirsch Apple war nicht der Musikplayer iPod. Zum Zeitpunkt, als das Gerät auf den Markt kam, gab es bereits zahlreiche ähnliche MP3-Player. Der Apple-Player konnte zwar bis zu 1.000 Lieder speichern, stellte rein technisch und für sich allein keine große Innovation dar.

Was die Erfindung einzigartig machte, war die Kombination mit der Musikplattform iTunes. iTunes ist ein Musikmarktplatz und eine Alternative zu illegalen Tausch- und Downloadbörsen. Verbraucher konnten sich zudem einzelne Songs zu einem niedrigen Preis kaufen und waren nicht gezwungen, sich vollständige Musikalben zuzulegen. Außerdem waren Besitzer des Trend-Geräts iPod an die Plattform gebunden. Apple veränderte mit seinem damals einzigartigen Zugang zu musikalischen Angeboten die Musikindustrie.

Amazon: Einer

Disruptive Innovation Screenshot Amazon

Amazon betreibt heute neben seinem Online-Versand noch zahlreiche weitere Geschäftszweige. Der Marktplatz fing allerdings als Online-Buchhandel an. Der Vorteil auch hier: Amazon konnte oftmals ein größeres Inventar als lokale Buchhändler anbieten, ohne selbst ein Ladengeschäft in jeder Stadt zu betreiben. Leser bestellten einfach das gewünschte Buch über die Amazon-Website und wenige Tage später nahmen sie es zuhause in Empfang.

Amazons Erfolge, Gewinne und Marktanteile wuchsen schnell. Der Konzern verdrängte kleine lokale Buchhändler und große Ketten. Trotz beständiger kritischer Stimmen entwickelte sich der Konzern zu einem Online-Marktplatz, auf dem Kunden so ziemlich alles einkaufen können, was sie brauchen. Der e-Reader Kindle, diverse digitale Assistenten und Tablets, ein Streaming-Service und ein erfolgreiches Cloud-Angebot gehören mittlerweile ebenfalls zum Portfolio des Online-Riesen.

Digitalfotografie und Digitalkameras: Nie wieder Filme entwickeln

Die Erfindung der Digitalkamera machte den Kauf von Analogkameras, den dazugehörigen Film und die Entwicklung solcher Filme fast obsolet. Nutzer konnten Fotos machen und sich die Bilder direkt auf dem Display der Kamera oder am Computerbildschirm ansehen. Die Fotos ließen sich zuhause auch auf dem eigenen Drucker ausdrucken – sogar auf Fotopapier. Die Technologie und insbesondere die Bildsensoren wurden immer ausgereifter und die Digitalfotografie immer erfolgreicher. 

Während die Erfindung Unternehmen wie Kodak und Agfa vom Markt drängte, mussten Firmen wie Canon und Leica radikal umdenken. Mit der Verbreitung von Smartphones gestaltete sich aber auch das immer schwieriger. Abgesehen von Profi- und Hobby-Fotografen nutzen die meisten Menschen nämlich mittlerweile ihre smarten Mobilgeräte, um Erinnerungen festzuhalten. Immerhin konnten einige Kamerahersteller mit Smartphone-Entwicklern kooperieren, um die in den Handys integrierten Kameras zu optimieren. 

Selbst disruptiv sein: Wie kommt disruptive Innovation ins eigene Unternehmen?

Ein neuer Marktteilnehmer kann schnell an alteingesessenen Unternehmen vorbeiziehen. Die populäre, erfolgreiche und potenziell milliardenschwere Idee lässt sich aber nicht im Handumdrehen entwickeln, insbesondere wenn ein Unternehmen nebenher noch ein Kerngeschäft betreiben muss. Timing, die entsprechenden technischen Fähigkeiten bzw. das notwendige Fachwissen und eine stark ausgeprägte Risikofreude müssen vorhanden sein.

Hier ein paar Tipps, um Ideen zu entwickeln:

1.      Kunden, Konsumenten und Trends beobachten 

Es ist immer ratsam, neue Marktteilnehmer zu beobachten. Das gilt auch, wenn sie noch nicht bedeutsam wirken und sich auf weniger lukrative Kundensegmente konzentrieren. Frage dich, was dieses Unternehmen anders macht als andere, und ob dessen Methode Erfolg haben könnte. Wenn du dich lediglich auf deinen Kundenstamm und eine eng gefasste Zielgruppe konzentrierst, schlüpfen dir potenzielle Wachstumschancen durch die Finger.

Wirf auch einen Blick auf deine eigenen Kunden. Stelle ihnen Fragen: Was kannst du verbessern? Gibt es Möglichkeiten, deinen Service oder dein Produkt simpler, intuitiver und kundenfreundlicher zu gestalten? Genau das haben alle in diesem Artikel genannten Beispiele nämlich gemeinsam: Ihre Erfindungen haben die Misserfolge anderer Marktteilnehmer nicht notwendigerweise zu verantworten. Sie gestalten ihre Serviceleistungen und Produkte lediglich kundenorientierter und -freundlicher.

2.      Innovation des Geschäftsmodells

Die richtige technologische Innovation zum richtigen Zeitpunkt steht oftmals im Mittelpunkt der disruptiven Innovation. Es muss aber nicht immer die eine revolutionäre, alles auf den Kopf stellende Erfindung sein, die Veränderung in deiner Branche herbeiführt. Schon eine Überarbeitung des Geschäftsmodells kann die Art und Weise verändern, wie dein Produkt oder deine Dienstleistung deinen Kunden Mehrwert liefert.

3.      Ein langer Atem ist gefragt

Eine Marktumwälzung geschieht nicht von heute auf morgen. Du benötigst Geduld, um Wachstumschancen zu entdecken und kleine, schrittweise Optimierungen herbeizuführen. Jedes Unternehmen, das sich durch eine disruptive Innovation auszeichnete, fing klein an und wuchs phasenweise, um schließlich Markt- und Kundensegmente zu erobern. 

Fazit

Es wirkt fast wie ein unaufhaltsamer Kreislauf, dass etablierte Marken und Konzerne irgendwann von einem kleineren Marktteilnehmer mit einer kundenfreundliche(re)n Idee abgelöst werden. Das bedeutet, dass erfolgreiche Unternehmen neue Trends und Entwicklungen stets aufmerksam beobachten müssen. Der Versuch, eine Disruption herbeizuführen, ist allerdings immer mit Risiken behaftet und nicht immer von Erfolg gekrönt. Ein langwieriger Trial-and-Error-Prozess, Scheitern oder ein eher moderater und nischiger Erfolg sollten stets mit einkalkuliert werden.

FAQ

An dieser Stelle beantworten wir häufig gestellte Fragen zu Disruptiven Innovationen.

Quellen:

Weitere Artikel