Anne und Stefan Lemcke, geboren 1979 in Bochum (Anne) sowie 1977 in Winsen an der Luhe (Stefan), sind Gründer und Geschäftsführer von Ankerkraut. Gegründet wird Ankerkraut im Februar 2013, drei Jahre später folgt der Auftritt in Die Höhle der Löwen. Am Ende schlägt Frank Thelen ein: 300.000 Euro für 20 Prozent Unternehmensanteile. Die ohne Rieselhilfen und Geschmacksverstärker produzierten Gewürze und Gewürzmischungen des Hamburger Familienunternehmens sind heute in über 5.500 europäischen Geschäften erhältlich. Kürzlich hat sich der französische Wagniskapitalgeber EMZ Partners für eine zweistellige Millionensumme 20 Prozent von Ankerkraut gesichert.
Anne, Stefan, welche Fehler habt ihr bei der Gründung von Ankerkraut begangen, die ihr heute unbedingt vermeiden würdet?
Stefan: Im Grunde genommen keine, wir wären sonst nicht da, wo wir heute sind. Aber: Ich hätte mir früher Leute mit an den Tisch geholt, die sich mit Business-Strategien auskennen. Dann wären wir heute noch größer, das kann man schon sagen. Richtige Fehler haben wir aber zum Glück nicht begangen.
Anne: Wir hatten aber auch nie ein Startup im Sinn, bei dem der Erfolg total durchgeplant ist. Vielleicht, weil wir dazu einfach nicht aus dem richtigen Umfeld kommen, vielleicht auch, weil wir ein bisschen älter sind als die normalen Gründer. Wir wollten versuchen, mit der Firma unsere Familie zu ernähren, und nicht ein Gewürzimperium aufbauen oder so.
Eure Geschichte ist eine von David gegen Goliath: Ihr tretet gegen die Fuchs-Gruppe an, die bei Gewürzen und Gewürzmischungen einen riesigen Marktanteil hat. Was ist euer Rat an Gründer, die so etwas ebenfalls vorhaben?
Stefan: Macht es schöner. Macht es bunter. Macht es online. Aber macht es nicht günstiger. Das ist das Einzige, was man nicht tun sollte: Man darf keinesfalls über den Preis an die Sache herangehen. Wenn du einen Preiskrieg anzettelst, dann ist sofort Schluss. Wir wollten von Anfang an lieber besser sein als günstiger. Und dadurch positioniert man sich am Markt ja auch relativ gut. Der ist in Deutschland alleine knapp eine Milliarde Euro groß, das heißt, da ist durchaus genug Geschäft für alle da. Wir greifen niemanden direkt an.
Anne: Wir hatten nie vor, ein Monopol zu stürzen. Dafür sind wir auch zu zurückhaltend. Ich glaube, wenn man sich größer macht als man ist, dann ist die Gefahr, abzustürzen, viel höher, als wenn man bedacht handelt und langsam wächst.
Stefan: Um einen großen Virtuosen unserer Zeit zu zitieren: Under the Radar, over the Top.
Anne: Weißt du, wer das gesagt hat?
Wer denn?
Anne: Scooter. Mit denen habe ich zehn Jahre lang zusammengearbeitet.
Stefan: Bei dem Geschäft, was wir machen, ist Markenaufbau und PR mit Sicherheit neben einem guten Produkt und einem durchdachten Vertrieb das Wichtigste. Aber Markenaufbau, die Zusammenarbeit mit der Presse und Social Media, das muss man können.
Und ich glaube, das ist auch eine gute David-gegen-Goliath-Strategie: Die Big Player haben eine Presseabteilung, wir machen das halt alles selbst, ohne Agentur oder so. Und dadurch haben wir einen Vorteil, weil die Kommunikation authentisch sein muss. Die Kunden von heute achten darauf. Die jungen Leute merken, ob du Quatsch erzählst oder ob du wirklich hinter deinem Produkt stehst.
Anne: Deshalb finden wir Twitch auch so toll. Das ist nämlich ein Kanal, da würden sich die Großen niemals rantrauen. Weil das viel zu offen ist, viel zu viel Feedback ermöglicht – in Echtzeit!
Twitch wirkt wie ein Kanal, der jetzt erstmal nicht direkt zu eurer Zielgruppe passt.
Anne: Was Social Media angeht, nehmen wir alles mit, was Sinn macht und uns gefällt. Deswegen haben wir damals auch angefangen mit Facebook: Damit kannten und kennen wir uns einfach am besten aus.
Stefan: 2013, als wir auf Facebook gestartet sind, konnte man für einen Witzbetrag Werbung schalten. Da hast du 200 Euro ausgegeben und 2.000 Euro Umsatz gemacht. Das war richtig krass. Das geht heute natürlich nicht mehr, aber es läuft immer noch sehr gut.
Anne: Aber was zum Beispiel TikTok angeht, sind wir tatsächlich etwas unsicher. Wir haben aktuell in der Firma einfach niemanden, der uns zeigt, wie das geht – wie man das “lebt”. Für Twitch wiederum gibt es jemanden in unserer Marketing-Abteilung, der selbst ein riesiger Fan ist und deshalb vor einem Jahr ankam und sagte: Ich glaube, dass Twitch ein wichtiger neuer Kanal sein könnte. Da haben wir ihm vertraut, den Schuss ins Blaue gewagt und sind heute sehr erfolgreich auf Twitch. Das hatten wir in dem Umfang gar nicht erwartet.
Ihr setzt neben eurem Online-Shop, Amazon, B2B und dem Lebensmitteleinzelhandel auf mittlerweile fünf stationäre Läden. Wie erfolgreich seid ihr damit?
Anne: Alles begann 2018 mit einer Testphase, hier in Hamburg. Zu dem Zeitpunkt war ein Rückblick in Die Höhle der Löwen geplant und der zuständige Redakteur meinte: Oh, wir müssen irgendeine Geschichte erzählen, die wir in der Sendung noch nicht hatten. Macht doch bitte mal ein Geschäft auf! Also haben wir Pop-up-mäßig ein Ladengeschäft eröffnet, in einer B-Lage und viel zu teuer. Wir haben trotzdem schnell festgestellt: Huch, das lohnt sich ja! Nicht nur für das Ankerkraut-Image, nein, da standen auch noch schwarze Zahlen auf dem Papier. So haben wir uns langsam rangetastet.
Stefan: Jeder Laden muss sich unterm Strich lohnen, und zwar nicht nur hinsichtlich Image, sondern auch bezüglich Umsatz. Und aktuell lohnt es sich auf jeden Fall, auch wenn die Läden aktuell nur etwa zehn Prozent des Umsatzes unseres Online-Geschäfts machen. Außerdem sind die Läden ein tolles Marketing-Tool, weil du direkt am Kunden bist. Du bist nicht im Supermarkt, du hast dein eigenes Regal, deinen eigenen Laden, deine eigenen Verkäufer. Das Einkaufserlebnis ist ein ganz anderes und beraten lassen kannst du dich auch.
In welchen Bereichen macht ihr welchen Umsatz?
Stefan: Etwa 35 Prozent über den Online-Shop, circa 15 Prozent über Amazon. Der Lebensmitteleinzelhandel macht in etwa 25 Prozent aus, eigene Läden annähernd fünf Prozent, B2B und Baumärkte um und bei 20 Prozent. Damit setzen wir pro Jahr einen mittleren achtstelligen Umsatz um und sind profitabel bis hochprofitabel. Wir zielen immer darauf ab, über unsere eigenen D2C-Kanäle, also die eigenen Stores und in unserem eigenen Online-Shop, den meisten Umsatz zu generieren, einfach, weil du dann niemanden etwas abgeben musst.
Welchen Marktanteil bei Gewürzen habt ihr heute?
Stefan: Unser Marktanteil bei Gewürzmischungen in Deutschland liegt bei ungefähr zehn Prozent. Beim Marktanteil von Mono-Gewürzen mit B2B haben wir in etwa drei Prozent, schätze ich.
Welche Ziele habt ihr euch in dieser Hinsicht gesteckt?
Anne: Wir definieren das eigentlich nicht in Zahlen. Unsere Aussage ist eher: In fünf Jahren soll in jedem deutschen Haushalt ein Ankerkraut-Glas stehen.
Wärt ihr heute da, wo ihr jetzt seid, wenn ihr 2016 nicht in Die Höhle der Löwen aufgetreten wärt?
Stefan: Es lief schon vor Die Höhle der Löwen sehr gut. 2016 haben wir mit drei Millionen Euro Umsatz geplant. Durch die Show sind es dann ungefähr dreieinhalb geworden. Das war also durchaus ein Booster. Und auch die Kooperation mit Frank Thelen war mit Sicherheit ein Booster.
Anne: Ich stelle immer als Gegenfrage: Wie viele Startups oder Unternehmen aus Die Höhle der Löwen kennst du denn, die auch Jahre später noch weiter wachsen und hohe Umsätze generieren? Die kann man an einer Hand abzählen. Die Höhle der Löwen ist sicherlich eine Chance, eine sehr große Chance. Aber wie jede Chance im Leben muss man die auch für sich nutzen. Und ich glaube, das haben wir geschafft. Ganz ohne da furchtbar strategisch an die Sache heranzugehen. Wir scheinen viele Dinge unterbewusst einfach richtig zu machen.
Stefan: Glück kann man nicht in Excel planen (lacht).
Anne: Ja, genau. Das sage ich immer.
Stefan: Je größer wir hier werden, desto wichtiger wird Excel natürlich. Aber: Glück ist nicht richtig planbar, Fleiß allerdings schon. Und man braucht beides.
Ihr seid Lebens- und gleichzeitig Berufspartner. Wie trennt ihr Privates von Beruflichem?
Stefan: Wir trennen Berufliches und Privates gar nicht, null, das gibt es für uns nicht. Wir reden hier im Büro über unsere Kinder und unseren Urlaub und wir reden auf dem Sofa abends über die Firma.
Anne: Ja, das liegt aber auch daran, weil Arbeit für uns keine Bürde ist. Wir machen das alles richtig gerne und auch aus tiefster Überzeugung. Für mich ist das kein Unterschied, ob wir uns über die Kinder oder über Ankerkraut unterhalten.
Stefan: Das Verständnis füreinander ist viel größer, wenn man zusammenarbeitet. Das heißt also, dass sowas eventuell für die Beziehung auch gut sein kann. Für unsere Beziehung ist es jedenfalls gut. Sie weiß genau, ich muss länger arbeiten. Ich weiß genau, sie muss jetzt nach München fliegen – da gibt es kaum Konfliktpotenzial. Allerdings muss man auch sagen, aus wirtschaftlicher Sicht ist es schon besser, wenn einer normal arbeiten geht, als wenn beide gründen und alles auf eine Karte setzen – zumindest in der Anfangsphase.
Anne: Wir kennen ein paar Paare, die zusammen arbeiten und auch zusammen gegründet haben. Ich glaube, das klappt bei allen eigentlich ganz gut. Mein Vater ist auch Unternehmer, der hat früher immer gesagt: Oh, das darfst du auf gar keinen Fall tun. Der gehört aber auch noch zu einer anderen Generation, in der die Frauen eher die Sekretärinnen waren statt die CEOs.
Stefan: Für Investoren ist das allerdings auch eine ziemliche Red Flag, wenn du als Paar gründest. Das ist eine der ersten Fragen, die dann gestellt wird: Glaubt ihr, dass das richtig ist, dass ihr da beide arbeitet?
Anne: Und verständlicherweise kommen dann Fragen auf nach Eheverträgen und so weiter. Worst-Case-Szenario: Stefan und Anne lassen sich scheiden und haben keinen Ehevertrag. Damit könnte man ein Unternehmen in wahnsinnige Schieflage bringen.
Das heißt, es wird massiv im Privatleben herumgegraben, wenn man als Paar gründet?
Anne: Ich glaube, wenn man denselben Namen hat und nicht aussieht wie Bruder und Schwester, dann passiert das auf jeden Fall.
Stefan: Und wenn jemand mit relevanten Beträgen bei mir investieren will, dann gräbt der sowieso. Das ist halt so. Da muss man sich dran gewöhnen.
Vielen Dank für das Interview!
Bildquelle: © Nicky Walsh