Frank Thelen im Interview: “Vielen deutschen Unternehmen fehlt der Mut, groß zu denken”

Von Juliane Becker
Aktualisiert am 05.01.2024 | Lesezeit ca. Min.

Frank Thelen, geboren 1975 in Bonn, ist Seriengründer, Autor und Investor. Das Programmieren bringt er sich als Jugendlicher selbst bei und gründet im zarten Alter von 18 Jahren sein erstes Unternehmen. Mit der Softwarefirma Twisd AG will er 1999 an die Börse, muss vorher allerdings Insolvenz anmelden. 2004 gründet Thelen den Online-Fotoservice IP Labs und verkauft diesen 2008 an Fujifilm. Von 2014 bis 2020 tritt er in Die Höhle der Löwen als Juror auf und investiert vornehmlich in Food-Startups. Mittlerweile widmet sich Thelen hauptsächlich seiner 2017 gegründeten Firma Freigeist Capital, die sich auf Frühphasen-Investitionen konzentriert. Er ist Autor zweier Bücher und tritt als Speaker auf internationalen Tech-Konferenzen in Erscheinung.

Frank, das Portfolio der Investments von Freigeist Capital ist breit gefächert. Gibt es ein Element, welches alle Investments verbindet?

Innovation. Wir unterstützen mit Freigeist herausragende Gründer, die mit technologischen Innovationen zentrale Probleme lösen. Durch meine Teilnahme an der TV-Show Die Höhle der Löwen haben wir uns außerdem ein Food-Portfolio aufgebaut, das sich hervorragend entwickelt. Ankerkraut, YFood und Little Lunch gehören meines Wissens zu den erfolgreichsten Unternehmen aus der Geschichte von DHDL. Aber unser Kernthema und unsere Passion ist die Technologie.

Deshalb bin ich letztes Jahr aus der Show ausgestiegen, um mich wieder voll und ganz auf Tech-Startups fokussieren zu können. Wir kommen aus dem Softwarebereich, haben aber auch ein tiefes Verständnis von Deep Tech und deshalb die Möglichkeit, frühzeitig auf große Visionen wie Lilium (ein Startup, welches ein senkrecht startendes und landendes Luftfahrzeug entwickelt, Anm. d. R.) zu setzen.

Da wir unser eigenes Geld investieren, müssen wir unsere Entscheidungen auch nicht vor irgendwelchen LPs rechtfertigen und haben die Freiheit, in solch spannende Themen wie Flugtaxis, Space und Hyperloop einzusteigen.

Viele der E-Commerce-Startups, in die Freigeist Capital investiert, nutzen Shopify. Siehst du im Vergleich zu anderen Anbietern besondere Vorteile in dieser Software? Welche Alternativen schätzt du ebenfalls als erfolgversprechend ein?

Shopify hat es als einer der ersten geschafft, das Bauen eines Online-Shops für fast jeden zu ermöglichen. Der entscheidende Vorteil ist, dass die Software leicht zu implementieren ist und viele Schnittstellen zu anderen, sinnvollen Tools hat. Es gibt natürlich noch viele weitere Systeme, von denen allerdings die meisten eine höhere Komplexität aufweisen und die in der Usability nicht an Shopify herankommen.

Shopify ist für eine breite Userzahl konzipiert und deckt die unterschiedlichsten Märkte ab. Zudem bieten es Integrationen zu vielen anderen sinnvollen Tools. Unser ERP-Startup Xentral bietet zum Beispiel auch eine Schnittstelle zu Shopify an, die es ermöglicht, alle relevanten Firmendaten aus dem Online-Shop weiterzuverarbeiten und zentral zu verwalten.

Welche Tools sind aus deiner Sicht für E-Commerce-Unternehmen besonders sinnvoll?

Ein vernünftiges Shop-System, CRM-Tool und natürlich das richtige ERP-System. Wir glauben wirklich, dass wir hier mit Xentral eine wahre Perle entdeckt haben. Was viele nicht wissen: Xentral war damals gar nicht auf der Suche nach einem Investment. Zum ersten Mal hat nicht das Startup gepitched, sondern wir als Investoren. Nachdem wir Xentral durch die Zusammenarbeit mit unseren Food-Startups kennengelernt und bemerkt haben, wie herausragend das Produkt ist, sind wir auf die Gründer zugegangen und haben es nicht bereut.

Das Unternehmen wächst seither stark, hat inzwischen über 60 Mitarbeiter und wir sind weiterhin fest davon überzeugt, dass hier neben SAP ein wirklich relevanter Player im ERP-Markt entstehen kann. Außerdem bietet Xentral Schnittstellen zu einer Reihe anderer sinnvoller E-Commerce-Tools.

Welche gravierenden Fehler beobachtest du bei Unternehmen aus dem E-Commerce immer wieder?

Viele E-Commerce-Unternehmen versäumen es, frühzeitig die richtigen Tools und Automatisierungs-Prozesse zu implementieren und arbeiten zu lange analog in irgendwelchen Excel-Sheets. So lässt sich ein Unternehmen nicht skalieren und je größer und weiter fortgeschritten das Startup, desto schwieriger wird der Wechsel. Deshalb sollten E-Commerce-Startups sich frühzeitig mit den Lösungen am Markt auseinandersetzen und die Implementierung im eigenen Team vorantreiben.

Umgekehrt: Welche Eigenschaften weisen erfolgreiche Unternehmen aus dem E-Commerce deiner Erfahrung nach immer auf?

Erfolgreiche E-Commerce-Unternehmen sind strukturiert, kennen ihre KPIs und die wertvollsten Hebel und haben eine klare Wachstumsstrategie. Vor allem aber haben sie ein Produkt, das wirklich einen Mehrwert bringt und hinter dem sie stehen.

Welche Rolle werden die sozialen Netzwerke aus deiner Sicht zukünftig noch für den E-Commerce spielen? Mit welchen Entwicklungen rechnest du?

Social-Media-Marketing wird immer wichtiger und auch das Customer Relationship Management läuft in vielen Unternehmen fast ausschließlich über Social Media. Instagram und TikTok wachsen rasant und die Preise, die Influencer inzwischen für Posts aufrufen können, zeigen, welcher Mehrwert für die Unternehmen in ihren Bewerbungen liegt. Ich denke, dass die Plattformen die Einbindung von Ads weiter optimieren werden und dass Social-Media-Marketing zukünftig zu einem der wichtigsten Tools für E-Commerce-Unternehmen werden wird.

Was fehlt dem deutschen E-Commerce?

Vielen deutschen Unternehmen, auch im E-Commerce, fehlt der Mut, groß zu denken. Wir haben einen sehr stabilen Mittelstand und viele tolle Unternehmen, aber uns fehlen die Visionen, wahre Innovation voranzutreiben. Auch im E-Commerce gibt es sicher die Möglichkeit, die Dinge komplett neu zu denken und vorausschauend zu handeln, wie es ein Amazon getan hat. Das vermisse ich im deutschen E-Commerce.

Gibt es etwas, das der deutsche E-Commerce besser kann als der aus den USA, UK oder Skandinavien?

Wir sind mit SAP führend im Bereich Commerce-Tech. Außerdem haben wir einen sehr starken Mittelstand und, anders als die USA und China mit ihren Tech-Giganten, viele relevante Player im E-Commerce. Ich bin überzeugt, dass wir in diesem Bereich noch weitere relevante Player aufbauen können. Wir haben das technische Knowhow und die Kompetenzen. Was aktuell noch fehlt, ist die konsequente Umsetzung.

Vielen Dank für das Interview!
Bildquelle: © Frank Thelen

Weitere Artikel