Natalia Wiechowski im Interview: „Habe den Mut, dich von deiner menschlichen und verletzlichen Seite zu zeigen.”

Von Juliane Becker
Aktualisiert am 12.03.2024 | Lesezeit ca. Min.

Dr. Natalia Wiechowski, geboren 1985 in Langenhagen, ist Keynote-Speakerin, Autorin und Trainerin. Mit 29 Jahren, auf dem (vermeintlichen) Höhepunkt ihres beruflichen Werdegangs und zutiefst unglücklich, kündigt sie ihren Job und beginnt wieder von vorn. Während eines neunmonatigen Sabbaticals ändert sie ihre Art zu denken, zu sprechen und zu handeln und gründet ihre Brand Think Natalia. Heute lebt sie in Dubai und edutained ihre über 100.000 LinkedIn-Follower mit Strategien, Coachsulting und Onlinekursen zu Personal Branding und Content-Strategien auf LinkedIn.

Natalia, ist Personal Branding nur etwas für Freiberufler, Selbstständige und CEOs?

Personal Branding ist ein (Kommunikations-)Konzept für alle Menschen, die aufrichtig daran interessiert sind, ihr Leben und ihre Karriere aktiv in die Hände zu nehmen. Denn Branding ist, frei übersetzt nach Seth Godin, „die Gesamtheit der Erwartungen, Erinnerungen, Geschichten und Beziehungen, die zusammengenommen die Entscheidung eines Verbrauchers begründen, ein Produkt oder eine Dienstleistung einer anderen vorzuziehen.”

Personal Branding – im Gegenzug zu Branding – konzentriert sich auf Individuen. Wir alle haben also eine Marke, ob wir es mögen oder nicht. Genauso wenig wie du „nicht nicht kommunizieren” (Paul Watzlawick) kannst, kannst du „nicht nicht eine Personal Brand” haben. Es liegt nun an dir, ob du die Art und Weise, wie du wahrgenommen wirst, selbst steuerst, lenkst und feinschleifst. Oder ob du lieber das „Opfer” der Meinungen und Eindrücke anderer sein möchtest.

Du bist absoluter LinkedIn-Fan – viele Deutsche sind aber eher auf XING. Wie lange, denkst du, kann XING noch gegen LinkedIn bestehen? Oder: Ist XING längst tot, aber niemand will es wahrhaben?

Ich glaube nicht, dass XING „längst tot ist”. Ich kenne einige Unternehmen, die nach wie vor begeistert von der Plattform sind, wenn es um das Thema Recruiting geht.

Die zwei wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang, die wir uns stellen dürfen, sind erstens: Wo hält sich meine Zielgruppe primär auf? In welchem Netzwerk? Und zweitens: Was ist meine Intention? Welche Ziele möchte ich mit der Nutzung der Social-Media-Plattform erreichen?

Meiner Wahrnehmung nach ist LinkedIn eine großartige Plattform für Individuen und Firmen, die international unterwegs sind und an die Kraft von organischem Content-Marketing glauben. XING im Gegensatz dazu ist wesentlich stärker auf die DACH-Region konzentriert und legt den Fokus eher auf die Stellen- beziehungsweise Mitarbeitersuche, um nur einige Unterschiede zu nennen.

Wer gern vor der Kamera steht, starke Meinungen vertritt und ein zugängliches Wesen hat, ist beim Aufbau seiner Personal Brand klar im Vorteil. Welche Tipps hast du für die eher Introvertierten? Wie können sie ihre Personal Brand stärken?

Wir verwechseln hier meines Erachtens Introvertiertheit mit Schüchternheit beziehungsweise der Angst, bewertet oder angegriffen zu werden. Introvertiertheit hat meines Wissens etwas damit zu tun, wie ein Individuum seine eigenen Energiebatterien wieder auflädt. In „gewollter Einsamkeit” oder unter Menschen. Die Edutainerin in mir ist eine Rampensau, ja. Und – auch wenn mir viele Leute das nicht glauben – ich bin privat eher introvertiert.

Aber zurück zur ursprünglichen Frage. Ich kenne sehr viele schüchterne, erstklassige Personal Brands. Anstatt sich vor die Kamera zu stellen, kannst du Artikel schreiben oder einen Blog launchen – gerne auch anonym. Beeindruckende Content Creator müssen nicht unbedingt zugänglich sein. Viel wichtiger ist es, sich so darzustellen, dass andere sich mit dir identifizieren können. Und hier punkten schüchterne Individuen tendenziell mehr. Habe den Mut, dich von deiner menschlichen und verletzlichen Seite zu zeigen. Nicht, um bemitleidet zu werden, sondern um anderen klarzumachen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Gedanken, Gefühlen und/oder Ängsten.

Und: Was alle erfolgreichen Personenmarken gemeinsam haben, ist eine spitze Positionierung. Eine solche erfordert klare Kommunikation – wofür steht die Brand? Was automatisch indirekt auch heißt, dass wir uns gegen etwas positionieren.

Du beschreibst ein LinkedIn-Profil als „Landingpage”, als „Schaufenster”, das Aufmerksamkeit wecken soll. Lange war LinkedIn aber nur ein weiteres Jobportal, auf dem es hauptsächlich um den CV ging. Wann hat sich das geändert? Und: In welche Richtung wird sich LinkedIn noch entwickeln?

Ich bin seit Anfang/Mitte 2015 auf LinkedIn aktiv, und ja, es hatte am Anfang ein eher staubiges Image. Für mich persönlich hat sich das spätestens im Jahr 2017 geändert, als LinkedIn uns ermöglichte, Videos als Content-Form zu posten. Es folgten Features wie LinkedIn Live, das Hochladen von PDFs, LinkedIn-Umfragen, LinkedIn Stories und seit neuestem auch der Creator Mode. LinkedIn macht heute wesentlich mehr Spaß als vor sieben Jahren.

Ich gehe stark davon aus, dass die Plattform alles tun wird, um interessant zu bleiben – sowohl für Brands, die relevante Inhalte erstellen und eine Online-Gemeinschaft aufbauen möchten, als auch für Unternehmen, die rekrutieren, Neukunden gewinnen und Werbeanzeigen schalten wollen.

Du nennst dich selbst seit 2015 „Edutainerin”. Wie hat sich dieser Begriff – und die Menschen dahinter – seitdem verändert?

Ich bin in einem Buch über diesen Begriff gestolpert und fand ihn so außerordentlich, dass ich ihn für meine Marke übernahm. Zu Beginn habe ich das Wort so gut wie nirgendwo anders als in meiner LinkedIn-Titelzeile und auf meinem Think Natalia-Blog gesehen.

Heute ist das anders. Zahlreiche Individuen betiteln sich als Edutainer, ohne sich – zumindest meiner Wahrnehmung nach – mit der Bedeutsamkeit und Tiefe des Begriffs auseinanderzusetzen. Doch was bedeutet Edutainer eigentlich? Für mich ist ein Edutainer eine Person, die es sich zum Ziel macht, Wissen auf eine unterhaltsame Art und Weise zu vermitteln, zum Beispiel durch Storytelling, Kunst, Humor oder Satire.

Während Kunst, Humor und Co. eher eine Geschmackssache und stark gesellschaftlich geprägt sind, stehen wir beim Thema Wissen vor einer größeren Herausforderung: Wir werden heutzutage mit Informationen und (Halb-)Wissen bombardiert. Was davon ist korrekt? Was ist falsch? Etliche Akteure sind nicht in der Lage, aus dieser Masse an Informationen das Wesentliche herauszufiltern, dem Ganzen eine Struktur zu geben und es so ansprechend aufzubereiten, dass daraus wahres, nutzvolles Wissen entsteht, das wir auch praktisch anwenden können.

Instagram-Influencer zeigen unter Hashtags wie #instagramvsreality zunehmend, wie wenig die Präsenz auf der Plattform mit dem echten Leben zu tun hat. Wie fake ist Personal Branding auf LinkedIn?

Instagram ist eine Plattform, die im Vergleich zu LinkedIn von einem wesentlich jüngeren Publikum verwendet wird. Instagram ist zudem ein stärker visuell geprägtes Social-Media-Netzwerk. Die meisten Individuen nutzen es, um unterhalten oder inspiriert zu werden beziehungsweise, um mit (potenziellen) Freunden in Verbindung zu treten.

Die Ausgangssituation und „Plattform-Kultur” ist also eine gänzlich andere als auf LinkedIn. Die meisten Brands, die LinkedIn nutzen, tun dies, um zu netzwerken, ihre Marke stärker auszubauen, Neukunden zu generieren, Inhalte zu erstellen, mehr über Industrietrends zu erfahren, nach einem Job zu suchen oder Mitarbeiter zu finden und um Neues zu lernen – um nur einige Aspekte zu nennen.

Um herauszufinden, wie fake Personal Branding auf LinkedIn ist, müsste ich erst einmal verstehen, was fake bedeutet. Wo fängt es an und wo hört es auf? Ist das Retuschieren von Augenringen im LinkedIn-Profilfoto bereits fake? Ist ein LinkedIn-Nutzer fake, wenn er den Link seines Posts zu seinen Kunden schickt und darum bittet, dass jene seinen Post liken? Ich finde das Beantworten der „Fakeness“-Frage sehr schwierig.

Welche groben Fehler siehst du immer wieder bei LinkedIn-Unternehmensseiten?

Die fünf gröbsten Fehler auf LinkedIn Unternehmensseiten sind die folgenden:

  1. Kein aussagefähiges Titelbild, das mir innerhalb von wenigen Sekunden sagt, in welcher Industrie das Unternehmen tätig ist.
  2. Ein schwammiger Slogan, aus dem nicht wirklich klar wird, was das Unternehmen anbietet und/oder was es auszeichnet.
  3. Der Bereich Beschreibung wird nicht optimal genutzt, um die eigene Geschichte zu erzählen und um darzustellen, welches Problem das Unternehmen eigentlich löst.
  4. Es werden keine relevanten oder überhaupt keine Hashtags zur Seite hinzugefügt.
  5. Der Seiten-Content ist viel zu weichgespült und „perfekt”. Er gleicht eher einer professionell erstellten Hochglanz-Werbebroschüre als authentischen Inhalten und Einblicken in den oft hektischen Unternehmensalltag.

Welche Unternehmen machen aus deiner Sicht auf ihrer LinkedIn-Unternehmensseite alles richtig?

The ENTERTAINER. Eine Freundin von mir hat einmal für diese Firma in Dubai gearbeitet, und ich war mehr als begeistert von ihrer Definition beziehungsweise Perspektive auf die Themen soziale Medien, Content und Beziehungsaufbau zu Kunden und Influencern. Bis heute hat The ENTERTAINER viele dieser Prinzipien beibehalten. Die Darstellung des Unternehmens auf der LinkedIn-Unternehmensseite ist nicht nur einwandfrei, wir können auch eine Menge von deren Content-Strategie lernen.

Was mir besonders gefällt ist, dass das Unternehmen immer wieder die eigenen Mitarbeiter in seinem Content vorstellt, interviewt oder featured. The ENTERTAINER hat Edutainment (als Werkzeug für Content-Marketing) in seiner Tiefe verstanden.

Was sind deine Top 3 Tipps für die erfolgreiche Leadgenerierung über LinkedIn – abgesehen von einem optimierten Profil?

Neben einem optimalen Profil sind insbesondere diese Elemente wichtig:

  1. Vernetze dich mit deiner idealen Zielgruppe. Gehe aktiv auf Menschen zu und sage Hallo. Warte nicht nur darauf, dass Leute sich bei dir melden. Warten und hoffen sind keine Strategie.
  2. Erstelle sensationellen Content. Der Großteil deiner Inhalte sollte die falschen Glaubenssätze deiner potenziellen Kunden eliminieren und/oder ihre Probleme lösen. Schaffe Mehrwert, ohne sofort einen ROI zu erwarten.
  3. Lade deine Gemeinschaft regelmäßig dazu ein, mit dir zusammenzuarbeiten. Dies sollte maximal 15 Prozent deines Contents sein. Nutze darüber hinaus auch andere Taktiken wie zum Beispiel LinkedIn-Umfragen, LinkedIn Lives und/oder DMing-Strategien.

Vielen Dank für das Interview!
Bildquelle: © Stu Williamson Photography (Dubai)

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