Rand Fishkin im Interview: "Je mehr Reichtum und Macht man hat, desto mehr ist man dazu verpflichtet, denen zu helfen, die nach einem kommen."

Von Juliane Becker
Zuletzt überprüft am 05.01.2024 | Lesezeit ca. Min.

Rand Fishkin, geboren 1979 in Seattle, USA, ist Entrepreneur, Autor und Speaker. Im Jahr 2000 bricht er sein Studium ab, um als Webdesigner in der Marketingfirma seiner Mutter zu arbeiten. 2004 gründet er den SEOmoz-Blog, der sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts zu einer weltweit beliebten Community und Wissensressource für SEOs entwickelt. 2007 wird er CEO von Moz (ehemals SEOmoz), dem Softwareunternehmen, das er gemeinsam mit seiner Mutter auf der Grundlage des Erfolgs des Blogs gründet.

In sieben Jahren als CEO baut er Moz auf über 130 Mitarbeiter, über 30 Millionen Dollar Umsatz und über 30 Millionen Besucher pro Jahr aus. 2014 tritt er infolge einer schweren Depression als CEO zurück und verlässt das Unternehmen (und die SEO-Welt) vier Jahre später. Im Jahr 2018 gründet er SparkToro, ein Startup für Publikumsforschung, und veröffentlicht das Buch Lost and Founder: A Painfully Honest Field Guide to the Startup World. Neben seiner Frau, der Schriftstellerin Geraldine DeRuiter, gilt seine Liebe vor allem guter Pasta.

Rand, im April 2020, inmitten des ersten Covid-Höhepunkts, haben du und dein Co-Founder Casey Henry SparkToro gelauncht. Erzähl uns ein wenig darüber, wie die Pandemie den Launch beeinflusst hat.

Wir hatten zu Beginn definitiv einen deutlichen Nachteil an mehreren Fronten. Einer der größten war die fehlende öffentliche Aufmerksamkeit. Für einen erfolgreichen Launch ist es wichtig, diese Aufmerksamkeit zu bekommen, aber für einen Großteil unseres Publikums (und den Großteil der Welt) war eine neue Marketingsoftware – zurecht – zu dieser Zeit einfach kein besonders wichtiges Thema.

Die gute Nachricht ist, dass wir vorausschauend geplant haben. Da wir nicht von VCs unterstützt werden, brauch(t)en wir keine weitere Finanzierungsrunde und können es uns leisten, langsam und stetig zu wachsen.

Wir haben zum Start von SparkToro während Covid ganz furchtbare E-Mails bekommen. Ich rede hier nicht von Bounces. Es waren automatische Antworten, die uns mitteilten, dass die Person, die sich im letzten Jahr dafür angemeldet hatte, zum Launch von SparkToro benachrichtigt zu werden, nicht mehr in ihrem Unternehmen arbeitet. Ich konnte in meinem Postfach jeden Morgen dutzende, hunderte Mails von Marketern sehen, die ihren Job verloren hatten. Das war eine wirklich beängstigende Zeit, und ich bin so froh, dass sich die Dinge zum Besseren gewendet haben. Heute sind Fähigkeiten im Bereich des digitalen Marketings gefragter, als ich es je zuvor in meiner beruflichen Laufbahn beobachten konnte.

Mit "Lost and Founder" (2018) hast du einen außergewöhnlichen Leitfaden für Neugründer auf den Markt gebracht. Hast du noch etwas hinzuzufügen, das du seit der Veröffentlichung des Buches gelernt hast?

Danke! Es freut mich sehr, dass du das Buch nützlich fandst. Und ja, ich habe seit der Veröffentlichung und dank SparkToro definitiv nochmal eine Menge dazugelernt. Ich bin mir nicht sicher, ob es möglich ist, alle Erkenntnisse in einer kurzen Antwort aufzuzählen. Aber ich kann versprechen, dass ich irgendwann in den kommenden Jahren ein weiteres Buch herausbringen werde, das sich genau damit beschäftigen wird.

In "Lost and Founder" plädierst du für unbegrenzte Transparenz als Kernwert eines Unternehmens. Gibt es aus deiner Sicht Unternehmen, die bei der Umsetzung dieses Konzepts besonders (un)erfolgreich waren?

Ich bin ein großer Fan von Transparenz bei Dingen, über die man normalerweise schweigt. Vor allem, wenn dieses Schweigen dazu benutzt wird, Menschen einzuschränken oder ihnen zu schaden. Aber ich bin nicht für „unbegrenzte Transparenz“. Ich denke, es gibt Zeiten, in denen es vernünftig ist, über alles zu schweigen – von den Gehältern der Mitarbeiter bis zu den geheimen Gewürzen im Brathähnchen. Ich persönlich mag es, transparent zu sein, und ich mag Menschen und Unternehmen, die das auch sind. Aber ich verurteile diejenigen nicht, die sich dafür entschieden haben, Privates privat zu halten, solange niemand damit zu Schaden kommt.

Einige Unternehmen, die mit diesem Ansatz besonders erfolgreich waren: Buffer, Balsamiq, Wistia, Wilbit. Und eines, das damit spektakulär erfolglos war: Basecamp.

Du hast dich sehr deutlich zu politischen Themen geäußert und unzählige Follower auf LinkedIn, Twitter und Facebook verloren, als du zum ersten Mal über Antirassismus und BLM-bezogene Themen gepostet hast. Was möchtest du CEOs sagen, die sich dafür entscheiden, zu schweigen oder „neutral“ zu bleiben?

Ich denke, es gibt hier zwei wichtige Dinge zu beachten. Erstens: Wenn du nicht daran glaubst, dass die Erfahrung, nicht-weiß zu sein, in den USA von einer Geschichte des Rassismus durchdrungen ist, musst du dich ganz dringend weiterbilden. Und zweitens: Wenn du das weißt, dich aber nicht diesbezüglich äußerst – weil du Angst hast, dass sich das negativ auf dein Business auswirkt –, dann bist du genauso Teil des Problems wie Gruppe 1.

Wenn du bereit bist, Überzeugungen und Unterstützung zu opfern, um mehr Geld zu verdienen, wenn du bereit bist, zu schweigen, deinen Mitarbeitern zu sagen, sie sollen sich da raushalten und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern – dann tust du etwas Böses. So einfach ist das.

Meiner Meinung nach sind CEOs, insbesondere diejenigen mit übergroßem Einfluss, wesentlich bösartiger als einfache Angestellte, wenn sie das tun. Eine Position voller Macht und Privilegien bekommt man nicht nur durch harte Arbeit, sondern durch eine überwältigende Portion Glück. Das Glück, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit einer bestimmten Hautfarbe, körperlich gesund, cisgender und so weiter geboren zu sein. Das nicht anzuerkennen und künftigen Generationen nicht zu helfen, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu beseitigen, ist grundlegend falsch. Je mehr Reichtum und Macht man hat, desto mehr ist man dazu verpflichtet, denen zu helfen, die nach einem kommen. Das ist keine persönliche Überzeugung, sondern eine Tatsache.

Du hast einen ausführlichen Blog-Beitrag geschrieben, in dem du dafür plädierst, öfter kleinere Unternehmen eine praktikable Option?

Auf jeden Fall! Bei SparkToro sind wir nur zwei Leute, und wir profitieren mehr als jeder andere davon, Auftragnehmer, Agenturen und Berater zu engagieren. So können wir uns auf das konzentrieren, was wir am besten können, anstatt uns verpflichtet zu fühlen, neue Dinge zu lernen und zu tun, bei denen wir uns vielleicht richtig dumm anstellen. Oder Dinge, die unsere Energie und unseren Arbeitswillen aufzehren.

Du hast den Begriff „Influence Marketing“ geprägt. Kannst du uns ein Beispiel dafür geben, was dieser Begriff beinhaltet und wie er sich von digitaler PR und Influencer-Marketing unterscheidet?

Klar doch! Wann immer ich diesen Begriff nenne, füge ich ein „ohne r“ hinzu. Das liegt daran, dass Influencer-Marketing (mit einem „r“) leider vor allem bedeutet, halbnackte Menschen auf Instagram und YouTube zu finden, die gegen Geld für dein Produkt werben. Das ist bei weitem nicht der einzige Weg, Einfluss auf ein bestimmtes Publikum zu nehmen. Und oft ist es nicht einmal der zehntbeste Weg.

Ähnlich verhält es sich mit digitaler PR: Ich halte sie vor allem für ein auf SEO ausgerichtetes Linkbuilding mit einem schickeren Namen.

Wir brauchen also eine neue Terminologie. Etwas, das bedeutet: „Finde alle Einflussquellen - Publikationen, Menschen, Podcasts, Newsletter, Events, was auch immer -, die deine Zielgruppe erreichen, und betreibe dort jede Art von Marketing, die am meisten Sinn ergibt. Sei es eine freundliche Outreach-E-Mail, ein bezahltes Sponsoring, ein gemeinsam vermarkteter Inhalt oder irgendetwas anderes, das für alle Parteien und die Zielgruppe funktioniert.“ Das ist es, was Influence Marketing (ohne „r“) bedeutet.

Und schließlich: Was ist derzeit dein liebstes Pasta-Gericht?

Ich habe gerade Pesto gemacht, und meine Arme sind furchtbar müde davon. Für den Rest des Sommers ist also das meine Antwort: Nudeln mit selbst gemachtem Pesto (lacht).

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