Product Experience Management: So kannst du Produkterlebnisse kanalübergreifend optimieren

Von Tobias Schlotter
Aktualisiert am 04.02.2024 | Lesezeit ca. Min.

Ein Interview mit Tobias Schlotter, General Manager Central & Eastern Europe am Düsseldorfer Standort von Akeneo.

Tobias, das Thema E-Commerce ist für viele Unternehmen im Jahr 2020 noch einmal drastisch in den Vordergrund gerückt – ersetzen digitale Kanäle nun definitiv die analogen?

Nein, auf keinen Fall. Natürlich ist die Wichtigkeit und die Ausprägung der digitalen Kanäle gestiegen und das wird auch weiterhin so sein – wenn wir einmal ehrlich sind, ist das ja schon seit Jahren der Fall. Der Markt entwickelt sich schließlich rasend schnell weiter. Man nehme innovative Apps, neue soziale Netzwerke wie TikTok oder das Thema Social Commerce. Dass Fashion-Labels beispielsweise via Instagram oder Facebook relevanten Umsatz machen, war noch vor einigen Jahren undenkbar.

Digitale Kanäle werden also immer wichtiger. Das reflektiert auch die Wirtschaft mit ihrer Digitalisierungsoffensive, die seit gut acht Jahren durchs Dorf getrieben wird. Unternehmen, die sich nur halbherzig mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt haben, haben nun einen gravierenden Nachteil.

Solange es Unternehmen on top nicht schaffen, die Customer und Product Experience zu 100 Prozent digital umzusetzen, werden analoge Kanäle bleiben. Wir kaufen ja auch kein Auto ohne Probefahrt und kein Parfum, ohne vorher daran geschnuppert zu haben. Technisch werden natürlich die ersten Versuche gewagt. So lässt sich beispielsweise per AR herausfinden, ob sich das Traumsofa wirklich gut im eigenen Wohnzimmer macht. Aber solange unser Smartphone keinen Geruch oder ein Gefühl von dem, was wir uns vorstellen, vermitteln kann, werden analoge Kanäle nicht verschwinden.

Welche Rolle spielen Produktdaten bei der digitalen Transformation?

Daten sind in der Wichtigkeit definitiv eine Stufe höher angesetzt als vorher und haben im Zuge der digitalen Transformation erheblich an Bedeutung gewonnen. Daten sind schließlich das neue Gold, das im Unternehmenskontext digitalisiert werden muss. Neben Kundendaten sind Produktdaten ein wichtiger Bestandteil, den es zu spezifizieren, beschreiben, vergleichen und zu verwerten gilt. Daher haben Daten einen sehr großen Einfluss auf eine erfolgreiche oder eben weniger erfolgreiche digitale Transformation.

Was noch dazu kommt: natürlich wollen Unternehmen wachsen, schließlich ist das ein entscheidender Treiber für die Transformation. Beim Thema Wachstum geht es dabei entweder um Globalisierung – hier liegt dann das Augenmerk auf den Produktdaten, die entsprechend des jeweiligen Marktes lokalisiert werden müssen – oder eben um die Maximierung des Portfolios oder die Steigerung des Market Shares. Marktanteile kann man jedoch nur erobern, wenn man sich vom Wettbewerb abhebt. Das klappt durch einen exzellenten Service sowie natürlich über die eigenen Produkte mit ihren Informationen.

Fazit: Produktdaten sind im Digitalisierungskontext immer essentiell. Sanami Bruderer-Kono von unserem Kunden BÜCHI hat einmal gesagt: “Ich würde kein E-Commerce-Projekt mehr machen ohne PIM-Projekt.“ Und damit hat sie absolut recht.

Wie ist der Status quo von Product Experience Management und Produktdaten-Management in Deutschland – und wie sieht es im Vergleich zu anderen Ländern aus?

Zunächst gilt es, zwischen den beiden Begriffen zu unterscheiden. Produktdaten-Management existiert seit gut 25 Jahren und bezeichnet das klassische Produktdaten-Handling. PIM hat tatsächlich sogar seinen Ursprung in Deutschland und in der technischen Katalogproduktion.

Im internationalen Vergleich sollten wir daher definitiv Vorreiter sein. Allerdings ist das Produktdaten-Management ein sehr IT- und kostengetriebenes Thema, daher besteht allein im Mittelstand noch sehr viel Aufholbedarf. Denn dort liegen sehr viele Produktinformationen nach wie vor in Excel-Listen oder in ERP-Systemen.

Um in Bildern zu sprechen: PIM ist das Werkzeug, Product Experience Management die Strategie dahinter oder eben der Handwerker, der weiß, wie er das Werkzeug richtig einsetzen muss. PXM ist damit eine relativ neue Disziplin. Hier mögen wahrscheinlich einige große Unternehmen widersprechen, aber sie sind leider eher die Ausnahme als die Regel. Denn es existieren selten komplett kontextualisierte Informationen, die auf den jeweiligen Kanal und den passenden Touchpoint abgestimmt sind. Da sind wir also noch lange nicht am Ziel.

Im weltweiten Vergleich haben Marketing-starke Länder wie beispielsweise die USA einen deutlichen Vorsprung, aber auch wir in der D-A-CH-Region mischen auf den vorderen Rängen mit.

Ist das Thema damit eher für B2C-Brands und -Händler geeignet, da dort die Differenzierung mittels Experience am offensichtlichsten ist?

Auf keinen Fall. Auch der B2B-Käufer shoppt abends privat auf dem Sofa und ist damit eine entsprechende Customer Experience gewohnt. Diese erwartet er am nächsten Tag im Büro auch von seinen Zulieferern und Herstellern. Dazu kommt, dass der Wettbewerb im B2B-Umfeld durch die Globalisierung genauso groß ist – man nehme nur neue Hersteller aus Asien, die ihre Produkte weitaus günstiger anbieten als der europäische Markt.

Generell würde ich sagen, dass die Entwicklung zwar langsamer vonstatten geht – Social Shopping ist beispielsweise im B2B-Umfeld aktuell alles andere als denkbar –, aber sie ist definitiv da. Und irgendwann kommt auch der Zeitpunkt für Influencer in diesem Bereich. Auf Management-Ebene ist das bereits keine Seltenheit mehr – Beispiel Elon Musk.

Fazit: Das Thema Experience ist für B2B genauso relevant, der Sektor hat an sich nur mehr aufzuholen. Unsere weltweit durchgeführte Umfrage Anfang 2020 hat auch bestätigt: unter 1.600 Fachleuten in sieben Ländern haben 97 Prozent gesagt, dass das Thema der Produktinformationen im Kontext der Customer Experience oberste Priorität hat.

Wo versteckt sich für Unternehmen das größte Problem im Umgang mit Produktdaten? Welche Fehler sollten Händler vermeiden?

Neben den Klassikern wie unstrukturierten, veralteten oder falschen Daten sowie einem planlosen Datenmanagement gibt es weitere Fehler, die sich gerne häufen. Ein Thema, das ich immer wieder sehe, ist, dass Unternehmen ihre Produkte aus ihrer eigenen Sicht beschreiben, aber nicht aus der des Kunden. Es ist allerdings unerlässlich, sich in die Lage seiner Zielgruppe zu versetzen und auch mit Personas zu arbeiten, damit man versteht, was der Kunde möchte, welche Informationen er benötigt, nach was er sucht und welche Message er erwartet. Dieser Fokus fehlt jedoch meist komplett.

Dazu kommt, dass Produktdaten häufig zu technisch sind, da sie in der IT oder in einem ERP-System verortet sind, nicht auf der Business-Ebene in Marketing und Vertrieb. Aber eben dort müssen die Daten verwaltet, übersetzt und auf die jeweiligen Zielgruppen angepasst werden.

Viele Unternehmen vergessen außerdem, dass den Kunden technische Daten häufig nicht ausreichen und sie stattdessen eine konkrete Produktbeschreibung benötigen. Möchte ein Kunde zum Beispiel einen neuen Smart-TV kaufen, sind technische Daten zwar wichtig, aber sie helfen dem Kunden nicht wirklich beim Vergleich und sie machen das Produkt für Laien auch nicht greifbarer. Stattdessen gilt es, die technischen Daten in ein Nutzungsszenario zu übersetzen und sie im nächsten Schritt mit Emotionen anzureichern. Der Lockdown hat hier gezeigt, wie wichtig das ist. Schließlich war es Kunden in dieser Zeit nicht möglich, sich vor Ort im Laden beraten zu lassen. Setzt ein Unternehmen also lediglich auf technische Informationen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Kunde zur Konkurrenz abwandert. Emotionalisierte Produktinformationen sind daher ein entscheidender Erfolgsfaktor, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren.

icon

Lesetipp

Ohne gute Texte läuft im E-Commerce gar nichts, wie wir dir in diesem Artikel zeigen: Wieso du im E-Commerce nicht auf hochwertige Produktbeschreibungen verzichten kannst

Auch die Themen Fokus und Konzentration können zur Herausforderung werden. Produkt-Marketing-Teams bestehen in der Regel aus Experten, die ein tiefes Verständnis für ihre Zielgruppen, Kreativität und Know-how mitbringen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis besteht die Arbeit jedoch hauptsächlich daraus, Daten in Excel-Tabellen hin und her zu schieben. Das ist schlichtweg eine Verschwendung von kreativen Ressourcen. Unternehmen müssen daher begreifen, dass ihre Mitarbeiter die richtigen Tools für die kreative Arbeit benötigen, ansonsten werden sie nie bei einem umfassenden Product Experience Management ankommen.

Wie profitiert der Handel bzw. Unternehmen generell von Product Experience Management? 

Product Experience Management ist ein Enabler für Wachstum in unserer digital immer schneller werdenden Welt. Und das sowohl extern als auch intern. Neben externen Komponenten wie einer gesteigerten Customer Experience oder dem entscheidenden Wettbewerbsfaktor leistet PXM beispielsweise einen Beitrag zum Umweltschutz. Denn mit konsistenten Produktdaten lassen sich Retourenquoten drastisch reduzieren – gerade in der Fashion-Branche.

Intern profitieren Unternehmen von zufriedeneren Mitarbeitern, da zeitintensive repetitive Aufgaben wegfallen und alle Kraft und Energie in kreative Projekte gesteckt werden kann. Damit sind Mitarbeiter produktiver und machen weniger Fehler. Das Resultat ist eine gesteigerte Effizienz und neue Produkte, die eine deutlich schnellere Marktreife erlangen.

Ein solcher Wandel passiert sicherlich nicht von heute auf morgen: Wie viel Zeit nimmt dieser Wandel in Anspruch?

Grundsätzlich sind die wichtigsten Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt, um den Prozess so gut und schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, eine konkrete Vision und ein Ziel, das man fokussiert. “Die Zentralisierung unserer Produktdaten“ gilt in diesem Fall übrigens nicht. Stattdessen muss definiert werden, was überhaupt erreicht werden soll, und diese Vision samt Zielsetzung auf Managementebene etabliert werden, um sich dort den entsprechenden Rückhalt zu sichern.

Im nächsten Schritt folgt das Change Management. Jedes Unternehmen muss bereit sein, die eigenen Überzeugungen und Prozesse zu überdenken und neue Wege zu gehen. Ohne die Bereitschaft zur Transformation geht es heute nicht. Unternehmen sollten dabei nicht zögern und sich bei Bedarf Hilfe ins Boot holen. Es gibt zahlreiche Berater und Agenturen, die sich auskennen und den kompletten Workflow effizienter gestalten können.

Wie verändert PXM die Art und Weise, wie Produktdaten gespeichert, kategorisiert, angereichert oder verwendet werden?

Sehen wir uns Produktdaten von vor ein paar Jahren an, wird klar, dass PIM ein technisches Thema war und daher in der IT und in Excel-Datenbanken oder ERP-Systemen verortet wurde. Im PXM geht es jetzt darum, welche Informationen die jeweiligen Zielgruppen an welchem Touchpoint erwarten und wie diese zudem mit Brand Identity angereichert werden können.

Damit dieser Prozess klappt, muss man die Daten aus der IT in die kundenzentrierte Business-Ecke bringen und mit besagter Brand Identity, Emotionen und einem Wert für den Kunden aufladen. Nehmen wir beispielsweise Schrauben. Diese werden beim Hersteller nach Schlüsselnummern (SKUs) kategorisiert und dann im ERP-System in jeweilige Nummernkreise eingegliedert. Das Produkt wird dann anhand einer Nummer gefunden und nicht aufgrund der Beschreibung Kreuzschlitzschraube, 3 cm, geeignet für Holz.

Der Kunde kann mit der Nummer aber per se nichts anfangen. Diese Nummer muss nun stattdessen im PXM-Kontext in die Sprache des Kunden übersetzt und kategorisiert werden. In der klassischen Webshop-Kategorisierung klappt das in der Regel schon ganz gut. Aber wenn man bedenkt, dass es bei vielen Marketplaces – je nach Ausgabekanal – Hunderte von Kategorien mehr gibt, wird der ein oder andere Marketer wahrscheinlich blass um die Nase.

IKEA gibt stattdessen ein großartiges Beispiel ab, denn in jedem Produkt samt Beschreibung ist die Identität des schwedischen Möbelgiganten zu finden. Da wären die schwedischen Produktnamen, die konsequente Anrede mit “du“ sowie die simplifizierte und vor allem lösungsorientierte Sprache.

Welche konkreten Tipps kannst du Marketern geben, die ihren Umgang mit Produktdaten professionalisieren möchten?

Pauschal einen Tipp zu geben, ist tatsächlich nicht so einfach. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Unternehmen unterschiedliche Reifegrade aufweisen. Von daher rate ich Marketern, im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme in ihrem Unternehmen zu machen. Wie sieht die Vision zum Thema PXM aus? Gibt es bereits ein PIM? Wer hat die Hoheit über Produktinformationen? Welche Kanäle werden heute bespielt, welche morgen? Hierbei kann vor allem unser Akeneo PXM Maturity Assessment dienen. Damit lassen sich die eigenen Stärken und Schwächen im Hinblick auf Produkt-Informations-Management evaluieren. Von diesem Status quo aus lassen sich dann die nächsten Schritte ableiten.

Natürlich sollte man sich beispielsweise auch den eigenen Webshop ansehen und die integrierten Produktinformationen. Mir sind schon Shops etablierter Marken mit einem “Lorem ipsum“-Blindtext in der Produktinformation oder Platzhaltern statt Produktfotos untergekommen. Es ist sinnvoll, schlechte Beispiele zu diskutieren, um ein Gefühl dafür zu bekommen, und sich Wettbewerber anzuschauen und zu überprüfen, was diese vielleicht besser machen.

Weitere Artikel