Vertrieb in Corona Zeiten: Ein Rück- und Ausblick

Von Jens Oberbeck
Aktualisiert am 12.03.2024 | Lesezeit ca. Min.

Die Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt und unter anderem das Verständnis von Arbeit grundlegend verändert. Auch im Vertrieb mussten Prozesse neu gedacht werden: Online-Meetings statt Präsenz-Termine, Online-Produktpräsentationen statt Vorstellungen beim Kunden, keine Messen, stattdessen Datenbänke zur Leadgenerierung. Trotz all dieser Veränderungen verzeichnen Vertriebler weltweit überraschende Erfolge.

Trotz Corona: So gut lief der Vertrieb im Jahr 2020

Neben allen Herausforderungen, die wir auf privater Ebene meisterten, mussten auch viele Wirtschaftszweige ihre Geschäftsmodelle und Prozesse neu denken. Besonders betroffen waren und sind Branchen, die seit jeher vom menschlichen Kontakt geprägt sind. Allen voran: der Vertrieb.

Kaum eine andere Branche ist so abhängig vom Miteinander, vom Händeschütteln auf Messen, von Produktdemonstrationen beim Kunden und der ständigen Bereitschaft, Kontakte in persönlichen Gesprächen zu pflegen und neu zu etablieren. In Folge der Pandemie wurden die Möglichkeiten für diese Art des Vertriebs jedoch – von heute auf morgen – unmöglich gemacht. Messen wurden ab- und Kundenbesuche bis auf Weiteres untersagt, Produktpräsentationen wanderten größtenteils in den digitalen Raum.

Viel Zeit blieb für die Umstellung nicht, wollten Unternehmen keine signifikanten Umsatzverluste riskieren. Eine Studie des CRM-Anbieters Pipedrive befragte über 1.700 Vertriebsmitarbeiter zum Ist-Zustand der Branche und stellte dabei unter anderem fest, dass trotz aller Widrigkeiten die Hälfte der Betroffenen auf ein erfolgreiches Vertriebsjahr 2020 zurückblickt.

Digitalisierung bringt Vertrieb zurück auf Erfolgsspur

Die Umfragewerte dokumentieren, dass Vertriebsmitarbeiter durch ihre Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit den neuen Gegebenheiten post Corona trotzen. Das spiegelt sich in den weltweit erbrachten Umsätzen: trotz aller Unsicherheiten und Widrigkeiten geben 59 Prozent der Befragten an, dass sie erfolgreicher waren als im Jahr 2019. Für den Rest des Jahres 2021 erwarten 81 Prozent sogar eine Steigerung ihrer Umsätze. Wie ist das möglich?

Die Ergebnisse schließen auf eine effektive und effiziente Umstellung auf digitale Möglichkeiten in der gesamten Wertschöpfungskette des Vertriebs. Ein Beispiel: Wo Vertriebsmitarbeiter früher für Produktdemonstrationen durch das gesamte Verkaufsgebiet tingelten, fanden sie sich plötzlich in Online-Produktdemonstrationen wieder. Unterm Strich stieg so das potenzielle Verkaufsvolumen – und in der Konsequenz auch die Umsätze. Es sind tagtäglich eben mehr Demonstrationen am heimischen Laptop durchführbar als Gespräche vor Ort.

Um dabei auch im digitalen Raum den Überblick über administrative Tätigkeiten wie die Terminkoordinierung zu behalten, verabschieden sich mehr und mehr Vertriebsteams von Stift und Papier. Nur noch vier Prozent aller Befragten verfolgen ihre Umsätze händisch, 16 Prozent greifen auf Excel-Listen zurück und vier von fünf implementierten bereits CRM-Systeme.

Doch wie konnte der Vertrieb ohne persönliche Kontakte im Coronajahr überhaupt Leads generieren? Über Datenbanken konnten Vertriebsmitarbeiter automatisiert Millionen von Profilen nach den gewünschten Faktoren durchsuchen, Leads vorqualifizieren und diese angehen. Solche digitalen Tools wurden während des vergangenen Jahres nicht nur vermehrt implementiert, sondern endlich auch angenommen. Technologien und Automatisierungstools zur Generierung und Qualifizierung von Leads sind im “Corona-Jahr” mit 63 Prozent zu elf Prozentpunkten stärker vertreten als noch im Jahr zuvor. Darüber hinaus erreichen von den Vertriebsmitarbeitern, die solche Technologien nutzen, 63 Prozent ihre Verkaufsziele. Etwas mehr als die Hälfte derjenigen, denen keine Technologien und Automatisierungstools zur Verfügung standen, blieben im selben Jahr hinter den Erwartungen zurück.

Von nichts kommt nichts: Arbeitsbedingungen im Vertrieb weltweit ausbaufähig

Der Vertrieb digitalisiert sich zunehmend und erntet damit verdientermaßen die Früchte. Die Erfolge einzig und allein den digitalen Tools zuzuschreiben, würde dem Körpereinsatz der Mitarbeiter jedoch nicht gerecht werden. Denn auch sie leisteten im vergangenen Geschäftsjahr einen erheblichen Anteil für die guten Umsatzzahlen – nicht selten häuften sie dafür Überstunden und Wochenendarbeit an. Deutlich über die Hälfte (63 Prozent) der weltweiten Vertriebsmitarbeiter arbeitet über 40 Wochenstunden, jeder Zehnte gar mehr als 50 Stunden die Woche.

Während die DACH-Region im internationalen Vergleich arbeitnehmerfreundlich agierte, zeigten insbesondere die spanischsprachigen Länder massive Nachholbedarfe bei den Arbeitsbedingungen. Im spanischsprachigen Raum arbeitet mehr als jeder Dritte oft auch am Wochenende – und das in den meisten Fällen ohne Bezahlung. Gerade mal jeder Zehnte wird für die Arbeit am Wochenende entlohnt.

Deutschsprachige Vertriebler arbeiten von allen am seltensten am Wochenende und kommen durchschnittlich auf 36 bis 40 Stunden pro Woche. Das deutsche Arbeitsrecht, das die maximale Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden beschränkt, wirkt sich positiv auf die Arbeitsbedingungen im Vertrieb aus.

Überstunden und lange Arbeitszeiten im Vertrieb – Zufriedenheit trotzdem hoch

Trotz des enormen Drucks – 70 Prozent der Vertriebsmitarbeiter fühlen sich Burn-out-gefährdet –, trotz der langen Arbeitszeiten und der unbezahlten Überstunden sind die meisten Beschäftigten im Vertrieb zufrieden mit ihrem Beruf (81 Prozent). Besonders überraschend: Die spanischsprachigen Umfrageteilnehmer waren die zufriedensten aller Befragten. Man darf also davon ausgehen, dass Wochenendarbeit im spanischsprachigen Raum eher die Norm als die Ausnahme ist und im eigentlichen Gehalt berücksichtigt wird.

Zu Teilen lässt sich die weltweit hohe Belastung von Vertriebsmitarbeitern sicherlich auch auf das Problem des Fachkräftemangels im Vertrieb zurückführen. In der DACH-Region gibt es kaum dedizierte Ausbildungen oder Studiengänge im Vertrieb, stattdessen werden Vertriebs-spezifische Fähigkeiten – mal mehr, mal weniger intensiv – als Teil der übergeordneten kaufmännischen Ausbildung oder des Wirtschaftsstudiums unterrichtet.

In der Folge lässt die Zahl hochqualifizierter Vertriebstalente zu Wünschen übrig, deutsche Unternehmen müssen sich Quereinsteiger zur Hilfe holen. Mit 61 Prozent Quereinsteigern ist Deutschland Vorreiter im internationalen Vergleich; nirgendwo sonst arbeiten mehr Quereinsteiger in den Sales-Teams. Die Erfolgsquoten zeigen wiederum, dass die betroffenen Unternehmen effektiv auf die Situation reagieren und die fachfremden Mitarbeiter durch interne Schulungen und die “learning-by-doing”-Methode erfolgreich integrieren.

Das Imageproblem des Vertriebs könnte bald Geschichte sein

Ob auch wegen des schlechten Rufs weniger junge Leute den Weg in die Vertriebswelt finden? Der Vertrieb kämpft jedenfalls seit jeher mit einem Imageproblem. Dabei ist er entscheidend für das Überleben und die Weiterentwicklung von Unternehmen – und damit unmittelbar verknüpft mit Arbeitsplätzen und Wohlstand. Das obsolete Bild von Verkäufern, die gemeinhin auch als “Drücker” tituliert werden, ist mitverantwortlich dafür, dass sich viele der Vertriebsmitarbeiter in der Geschäftswelt unterschätzt fühlen.

Nichtsdestotrotz: die Zahl sinkt kontinuierlich! Denn im Jahr 2019 fühlten sich 69 Prozent aller Befragten unterschätzt, im vergangenen Jahr sank die Zahl auf 61 Prozent. Das vom Vertrieb Geleistete hat Eindruck hinterlassen – bei anderen Abteilungen und in der gesamten globalen Wirtschaft.

Dieses Verständnis könnte sich in den kommenden Monaten und Jahren weiter manifestieren. Denn neun von zehn Vertriebsmitarbeitern glauben fest daran, dass ihr Berufsfeld entscheidend zum globalen Aufschwung nach Corona beitragen wird. Schaut man auf die gestiegene Wertschätzung und das Selbstverständnis, wichtiger Faktor für eine stabile Wirtschaft zu sein, ist der Stolz von Vertriebsmitarbeitern die logische Konsequenz – über 90 Prozent aller Befragten sind stolz auf ihren Beruf.

Aufbruchstimmung nutzen: mit Mensch und Maschine in eine erfolgreiche Zukunft

Acht von zehn Vertriebsmitarbeitern bewerten die Rolle des Vertriebs für die Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie als wichtig oder sehr wichtig. Damit der Vertrieb diesen Erfolg kurzfristig befeuert und diesen – vor allem – auch langfristig aufrecht erhält, müssen Sales-Teams zum einen sicherstellen, dass digitale Vertriebstools ein integraler Teil der Sales-Wertschöpfungskette bleiben. So lässt sich der Vertrieb weiter skalieren – und der Fachkräftemangel auszugleichen. Automatisierungstools und digitale Berater sind der Schlüssel, um die fehlende Manpower und die (zu Beginn) fehlende Expertise der Quereinsteiger auszugleichen.

Zum anderen müssen Vertriebsmitarbeiter stärker gefördert werden. Verkäufer brauchen weitreichende Produktschulungen. Denn je mehr repetitive Arbeit die Software übernimmt, desto mehr wird der Mensch die Kontaktpflege und die persönlichen Gespräche mit den Kunden übernehmen.

Gerade im Bereich B2B, wo Produkte nicht selten hoch-technischer und komplexer Natur sind, müssen Verkäufer mit Fachwissen auftrumpfen. Dies schafft Vertrauen und Umsatz. Andererseits müssen Unternehmen Förderprogramme für ihre Quereinsteiger und Auszubildenden einrichten. Hierzu gehören Verkaufskurse (etwa zu relevanten Soft Skills für das Relationship Building) oder Mentorenprogramme durch erfahrene Vertriebler.

“Learning on the job” kostet Zeit – und diese haben Vertriebsteams gerade im zu erwartenden Boom nicht. Je schneller die Verkäufer die Kniffe des Sales-Departments beherrschen, desto besser.

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