Status-quo-Bias: Die Macht der Gewohnheit und wie du ihr in Marketing und Vertrieb begegnest

Von Steffen Grigori, geprüft durch Melina Wandler (zertifizierte Lektorin)
Aktualisiert am 13.02.2024 | Lesezeit ca. Min.

Der Status-quo-Bias ist eine kognitive Verzerrung, die tief in uns verwurzelt ist und sowohl im Alltag als auch in wirtschaftlichen Belangen eine bedeutende Rolle einnimmt. Marketing- und Vertriebsexperten müssen dieses Phänomen kennen, um ihre Bemühungen darauf abzustimmen, Kundenbedürfnisse anzusprechen und das Geschäftspotenzial maximal zu nutzen.

In diesem Artikel erfährst du alles, was du über den Status-quo-Bias wissen musst, und lernst, wie du diese kognitive Verzerrung nutzbringend auf deine Seite ziehen kannst. Freu dich auf:

  • Die zugrundeliegende Psychologie hinter dem Status-quo-Bias
  • Anschauliche Praxisbeispiele, die das Phänomen verdeutlichen
  • Strategien, um den Status-quo-Bias in Marketing und Vertrieb wirkungsvoll einzusetzen

Entdecke, wie du Gewohnheiten zur Stärkung deiner Marketing- und Vertriebsaktivitäten nutzen kannst. Los geht's!

Der Status-quo-Bias: Grundlagen und Bedeutung

Der Status-quo-Bias ist eine weit verbreitete kognitive Verzerrung, die sowohl in unserem Alltag als auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen zum Tragen kommt. Sie wurde von 1988 erstmals von William Samuelson und Richard Zeckhauser beschrieben. Um dieser Verzerrung im Marketing und Vertrieb zu begegnen, ist es hilfreich, einen Blick auf die psychologischen Mechanismen und damit verknüpfte Phänomene zu werfen.

Die Psychologie hinter dem Status-quo-Bias

Der Status-quo-Bias beschreibt die Tendenz, im Rahmen von Entscheidungen den gegenwärtigen Zustand – den sogenannten Status quo – zu bevorzugen und daran festzuhalten. Dies äußert sich darin, dass eine Option, die die bestehenden Gegebenheiten widerspiegelt, eher gewählt wird als Alternativen, die Veränderungen mit sich bringen.

Diese Verzerrung kann dazu führen, dass Chancen für Wachstum und Optimierungen ungenutzt bleiben. Als Erklärung hierfür wird die menschliche Neigung angeführt, den mit Veränderungen einhergehenden Aufwand sowie mögliche negative Auswirkungen stärker zu gewichten als die potenziellen Vorteile.

Die Verzerrungen im Detail: Verlustaversion und Endowment-Effekt

Zur besseren Verständlichkeit des Status-quo-Bias können einige verwandte Konzepte herangezogen werden:

  • Die Verlustaversion ist ein grundlegendes Prinzip der Verhaltensökonomik und betont die Tatsache, dass negative Ereignisse wie Verluste intensiver wahrgenommen werden als gleichwertige positive Ereignisse wie Gewinne. Dies hat zur Folge, dass mögliche negative Ergebnisse einer Entscheidung stärker ins Gewicht fallen und somit eher zum Festhalten am Status quo führen.
  • Der Endowment-Effekt hingegen beschreibt die Neigung, Sachen, die man bereits besitzt, einen höheren Wert zuzuschreiben, als es objektiv gerechtfertigt wäre. Infolgedessen kann dich diese Verzerrung dazu verleiten, Entscheidungen zu treffen, die den derzeitigen Zustand begünstigen und Veränderungen vermeiden.
icon

Lesetipp

Dem Endowment-Effekt haben wir einen eigenen Artikel gewidmet. Wenn du mehr erfahren möchtest, lies hier weiter: Der Endowment-Effekt im Marketing: So funktioniert er, so nutzt du ihn für dich

Indem man sich dieser Verzerrungen bewusst wird und sie gezielt hinterfragt, kann man eine ausgewogene Entscheidungsfindung erreichen.

Praxisbeispiele: Status-quo-Bias im Alltag und in der Wirtschaft

Im Folgenden betrachten wir zwei sehr unterschiedliche Anwendungsbeispiele, um ein besseres Verständnis für die Wirkungsweise dieser kognitiven Verzerrung zu entwickeln.

Organspende: Ein drastisches Beispiel

Die Organspendebereitschaft verdeutlicht eindrucksvoll den Status-quo-Bias. Unterschiedliche Länder haben verschiedene Gesetze in Bezug auf Organspenden, und diese Unterschiede führen zu teils großen Abweichungen bei den Spenderquoten.

Wissenschaftler haben erkannt, dass der Status-quo-Bias eine entscheidende Ursache für diese Unterschiede darstellt. In vielen Ländern liegt die Zustimmungslösung vor, bei der Menschen ausdrücklich einer Organspende zustimmen müssen, um als Spender in Betracht gezogen zu werden. Studien zeigen, dass in diesen Ländern die Mehrheit der Bevölkerung am Status quo festhält, indem sie keine Entscheidung trifft – weder bewusst für noch gegen eine Organspende.

Im Gegensatz dazu gibt es Länder mit einer Widerspruchslösung: Hier sind Menschen automatisch als Organspender vorgesehen, es sei denn, sie widersprechen aktiv. In solchen Ländern ist die Spenderquote deutlich höher. Der Status-quo-Bias führt dazu, dass Menschen der voreingestellten Entscheidung folgen, auch wenn sie grundsätzlich nicht gegen Organspenden sind.

Digitale Anwendungen: Vordefinierte Formulareingaben und Checkout-Optionen

Der Status-quo-Bias spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle in digitalen Anwendungen. Viele Online-Shops nutzen vordefinierte Formulareingaben oder bereits ausgewählte Optionen im Bestellprozess, um Kunden gezielt in Richtung bestimmter Entscheidungen zu lenken. Spezielle Versandoptionen etwa sind häufig bereits vorausgewählt.

In vielen Fällen folgen Kunden diesen Voreinstellungen, ohne sie bewusst zu hinterfragen – der Status-quo-Bias kommt zum Tragen. Unternehmen können dies nutzen, indem sie Kunden gezielt in Richtung von Entscheidungen leiten, die ihnen Vorteile verschaffen, zum Beispiel höhere Umsätze oder verbesserte Logistikabläufe.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass dieser Ansatz ethische Fragen aufwirft und das Vertrauen des Kunden in das Unternehmen beeinträchtigen kann. Entscheidungen sollten daher stets transparent und begründbar sein, um langfristige negative Auswirkungen zu vermeiden.

Wie Unternehmen den Status-quo-Bias nutzen können

Erfolgreiche Unternehmen wissen, wie sie diese menschliche Tendenz gewinnbringend für ihre Marketing- und Vertriebsstrategien nutzen können.

Strategien für Marketing und Vertrieb

Um den Status-quo-Bias gezielt auszuschöpfen, stehen Unternehmen verschiedene Ansätze zur Verfügung, die auf unterschiedlichen Ebenen der Kundenansprache wirken:

  • Angebotsgestaltung: Präsentiere Kunden zunächst eine Standardoption, die womöglich bereits ihren Bedürfnissen gerecht wird, und eröffne ihnen die Möglichkeit, bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Dadurch minimierst du den Widerstand gegenüber neuen Produkten oder Dienstleistungen.
icon

Lesetipp

Eine Variante ist der sogenannte Upsell. Wie das funktioniert, liest du hier: Upselling: Definition, Vorteile, Strategien und Beispiele für 2024

  • Kommunikation: In der Kundenkommunikation solltest du gezielt die Vorteile und den Nutzen hervorheben, die aus der Beibehaltung bestehender Produkte oder Verhaltensweisen resultieren. Auf diese Weise förderst du den Status-quo-Bias der Kunden.
  • Preisgestaltung: Gestalte Preise so, dass die Empfindung der Verlustaversion reduziert wird. Anreize wie Rabatte oder Boni können Kunden davon überzeugen, dass sie bei einem Kauf keinen Verlust erleiden.
icon

Lesetipp

Mehr zum Thema Preisgestaltung erfährst du in diesem Artikel: Preisfindung: So bestimmst du den richtigen Preis für dein Produkt

  • Einbindung in den Entscheidungsprozess: Beziehe Kunden aktiv in den Entscheidungsprozess mit ein und erläutere ihnen, warum eine bestimmte Option ihre Bedürfnisse optimal erfüllt. Dies kann dazu beitragen, den Status-quo-Bias abzubauen und die Kundenzufriedenheit zu steigern.

Beispiel: Trinkgelder bei Lieferdiensten

Ein weiteres Beispiel für die praktische Anwendung des Status-quo-Bias findet sich bei Trinkgeldern in digitalen Lieferdiensten. Viele dieser Apps stellen voreingestellte Trinkgeldoptionen zur Verfügung, aus denen Kunden bei der Bezahlung einer Bestellung wählen können.

Dies hat gleich zwei positive Effekte: Zum einen vereinfacht es den Abrechnungsprozess, zum anderen kommt es dem Lieferpersonal zugute. Da die Trinkgelder voreingestellt sind, neigen Kunden dazu, die vorgeschlagenen Beträge unverändert zu übernehmen, insbesondere wenn ihnen keine offensichtliche Alternative präsentiert wird.

Status-quo-Bias: 4 Praxistipps für zielgerichtetes Marketing
Gern darfst du diese Infografik auf deiner Webseite einbinden.

Methoden zur Überwindung des Status-quo-Bias

Um diesem Bias als Verbraucher und Unternehmer entgegenzuwirken, stellen wir dir nun einige Strategien vor.

Bewusstsein und Reflexion

Der erste und grundlegende Schritt, um den Status-quo-Bias zu überwinden, besteht darin, sich seiner selbst und der eigenen Tendenzen bewusst zu werden. Das gilt auch für die Verlustaversion deiner Kunden. Setzt euch im Team zusammen und reflektiert eure bisherigen Entscheidungsprozesse, um herauszufinden, ob Gewohnheitsdenken dabei eine Rolle gespielt hat. Indem ihr euch dieser Tatsache bewusst werdet, könnt ihr eure Herangehensweise an Marketing- und Vertriebsaktionen anpassen und offen für neue Ideen sein.

Nutzen hervorheben

Die Kommunikation mit deinen Kunden sollte den Fokus auf den Nutzen einer Veränderung legen. Anstatt auf potenzielle Kosten hinzuweisen, betone die Vorteile, die eine neue Option oder ein neues Produkt bietet. Du kannst dabei auch emotionale Aspekte einbeziehen, um deinen Kunden den Mehrwert und die positiven Effekte einer Veränderung anschaulich darzustellen.

Alternativen aufzeigen

Hilf deinen Kunden dabei, unterschiedliche Alternativen in Erwägung zu ziehen und ihre Entscheidungen aktiv zu gestalten. Stelle ihnen dazu detaillierte Informationen bereit, sodass sie gut informiert und selbstbewusst eine Wahl treffen können, die ihnen Mehrwert bietet und zu positiven Veränderungen in ihrem Leben führt.

Leicht zugängliche Informationen

Stelle sicher, dass relevante Informationen zu Alternativen leicht zugänglich sind. Ein einfacher und schneller Zugang zu den benötigten Daten kann die Entscheidungsfreude deiner Kunden fördern und sie dazu ermutigen, vom Status quo abzuweichen. Achte darauf, dass der Informationsfluss gut strukturiert und verständlich ist.

Testangebote und Zwischenschritte

Biete deinen Kunden mit Testangeboten die Möglichkeit, neue Produkte oder Dienstleistungen auszuprobieren, bevor sie sich festlegen. Damit können sie ihre Skepsis überwinden und eigene Erfahrungen sammeln, die sie von einer Veränderung überzeugen.

Für manche Kunden mag der Umstieg auf ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung überwältigend erscheinen. Indem du ihnen Zwischenschritte anbietest, führst du sie sanfter an Veränderungen heran und schwächst den Status-quo-Bias ab.

Fazit: Den Status-quo-Bias verstehen und im Marketing einsetzen

Der Status-quo-Bias ist eine kognitive Verzerrung und beeinflusst unsere Entscheidungen, indem wir den gegenwärtigen Zustand bevorzugen und Änderungen vermeiden. In Marketing und Vertrieb ist es daher unerlässlich, diese Tendenz zu erkennen, um sie gewinnbringend zu nutzen oder sogar auszuschalten.

Hierzu bot der Artikel wertvolle Einblicke in:

  • Psychologische Grundlagen: Die Rolle der Verlustaversion und des Endowment-Effekts beim Status-quo-Bias wurden detailliert beleuchtet.
  • Strategien und Methoden: Es gibt diverse Ansätze, um den Status-quo-Bias für das eigene Unternehmen zu nutzen oder Kunden zum Überwinden dieser Verzerrung zu animieren.

Kalkuliere immer ein, dass Kunden und Interessenten möglicherweise dem Status quo aus Gewohnheit verfallen, und finde Ansätze, um sie sowohl emotional als auch rational für die Vorteile einer Veränderung zu gewinnen. Dadurch ermöglichen sich neue Wachstumschancen für dein Unternehmen und die Kundenzufriedenheit profitiert ebenfalls.

FAQ

Hier sind Antworten auf die Fragen, die häufig gestellt werden.

Weitere Artikel