Datengetriebenes Marketing hinterfragt: Wie objektiv sind (Kunden-)Daten wirklich?

Von Marylin Montoya
Aktualisiert am 12.03.2024 | Lesezeit ca. Min.

“Daten sind das neue Gold”: dieser Grundsatz ist in der Digitalwirtschaft mehr oder weniger im Mainstream angekommen. Denn dort wird heute kaum eine wichtige Entscheidung getroffen, ohne vorher umfassend Daten zu erheben und zu analysieren.

Warum in der Datananalyse trotzdem nicht alles Gold ist, was glänzt, erklärt dieser Gastbeitrag.

Datengetriebene Kampagnenplanung: Ohne geht es nicht mehr

Wurden viele Entscheidungen früher aufgrund von “das haben wir schon immer so gemacht” getroffen, gibt es heute besonders im E-Commerce kaum noch einen Bereich, der nicht grundlegend analysiert und hinterfragt wird. Und das aus gutem Grund: Einerseits wird unsere Wirtschaft immer schnelllebiger, d. h. neu auf den Markt kommende Unternehmen müssen in kürzester Zeit Profitabilität erreichen und können nichts mehr dem Zufall überlassen.

Andererseits müssen selbst Konzerne aufpassen, dass sie im direkten Wettbewerb mit E-Commerce-Riesen wie Amazon, die in Sachen datenbasiertes Marketing absolut den Ton angeben, nicht den Anschluss verlieren. Denn die Millionen von Kunden stellen eine umfassende Datenmenge bereit, deren Auswertung Amazon im Daily Business enorme Vorteile verschafft. Daher ist die datengetriebene Kampagnenplanung aufbauend auf soziodemografischen Daten oder Transaktionsdaten sowie der systematische Einsatz von Experimenten zu Recht der Maßstab. 

Ebenfalls klar: Eine solche Gestaltung von Marketingkampagnen funktioniert nur mit den richtigen Methoden und Tools, mit denen Daten zum Kundenverhalten gesammelt und analysiert werden. Zudem erfordert sie zuverlässige Kenntnisse zu statistischen Modellen und den entsprechenden Grundprinzipien. Wer zum Beispiel erfolgreich A/B-Tests einsetzen möchte, muss sich mit statistischer Signifikanz auseinandersetzen und diese richtig interpretieren. 

Die Gretchenfrage: Sind Daten wirklich objektiv?

Die Vermutung liegt nahe, dass, wenn man all diese Fallstricke beachtet und mit soliden Methoden und Grundlagen arbeitet, automatisch objektive Ergebnisse erhält und darauf basierend die richtigen Entscheidungen trifft. Aber tatsächlich ist es nicht ganz so einfach: Denn Daten sind nie zu 100 Prozent objektiv, auch wenn diese Meinung häufig kursiert. “Daten lügen nicht” ist letztlich nur die halbe Wahrheit, denn die Menschen, die die Datenerhebung beauftragen und interpretieren, sind selbst nicht objektiv.

Dazu erneut das Beispiel eines A/B-Tests: Der Test selbst beruht zwar auf objektiven Kriterien, eine subjektive Person hat aber entschieden, genau dieses Experiment durchzuführen ‒ und andere, die genauso denkbar gewesen wären, eben nicht. Eine ebenso subjektive Person hat zudem vorgegeben, welche Kennzahlen, Metriken und Segmentierungen tiefergehend betrachtet wurden.

Daher sollte man immer davon ausgehen, dass das Datenmodell durch Meinungen, Vorlieben und verzerrte Wahrnehmungen nicht zwangsläufig vollkommen objektive Ergebnisse liefern wird. Und dieses Phänomen verstärkt sich noch weiter, je tiefer die entscheidende Person sich in der Thematik auskennt.

Der Confirmation Bias im Marketing

Marketing-Experten sind eben auch nur Menschen, die beständig dazulernen. Also haben sie mit der Zeit zahllose Phänomene und Grundsätze kennengelernt. Bei statistischen Versuchen neigen sie dann dazu, genau jene Experimente durchzuführen bzw. die Ergebnisse so zu interpretieren, dass diese ihre ursprünglichen Annahmen bestätigen. Dieser Zusammenhang nennt sich Confirmation Bias oder Bestätigungsfehler und wurde bereits 1960 durch den britischen Psychologen Peter Wason entdeckt.

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Der Confirmation Bias, erklärt

Der Confirmation Bias führt dazu, dass Informationen so ausgewählt, bestätigt und gewichtet werden, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen. Umgekehrt werden auch alle Hinweise ausgeblendet, die den eigenen Erwartungen nicht entsprechen; vom Confirmation Bias Betroffene täuschen sich also unbewusst selbst. Der Confirmation Bias verhindert, dass neue, fundierte Erkenntnisse getroffen werden können, und bestätigt das bestehende Weltbild trotz einer vermeintlich objektiven Datenanalyse.

Neben dem Confirmation Bias gibt es eine ganze Reihe weiterer kognitiver Verzerrungen, die Entscheidungsträger bei Experimenten und statistischen Analysen beeinflussen und so auch zu einer Verzerrung der Daten führen können. Auch die Entscheidung, wie die vermeintlich objektiven Daten zu interpretieren sind, kann ihrerseits die Ergebnisse beeinflussen.

Häufig werden zum Beispiel Korrelation und Kausalzusammenhänge miteinander verwechselt, es handelt sich dabei aber keineswegs um die gleiche Kennzahl:

Während Korrelation lediglich einen zufälligen Zusammenhang wiedergibt, bedeutet Kausalität, dass eine Variable in Abhängigkeit zu einer anderen Variable steht. Dass eine Korrelation für einen Kausalzusammenhang gehalten wird, liegt häufig daran, dass beide von Drittvariablen beeinflusst werden, die nicht Teil der Analyse sind und daher nicht erkannt werden können.

Verwechslung von Korrelation und Kausalität im Marketing: Ein konkretes Beispiel

Eine Marketing-Expertin wünscht sich mehr Budget für ihr Team und ist der Ansicht, dass dies das Unternehmen entscheidend vorantreiben würde. Die hohen Bestellzahlen des letzten Quartals führt sie vor allem auf besonders gut gelungene Social-Media-Kampagnen zurück, denn mehrere Freunde haben ihr berichtet, wie gut ihnen die Kampagnen gefallen haben. Die Marketing-Managerin verbringt daher viel Zeit mit Tests und Experimenten, um herauszufinden, wie sich diese Kampagnen weiter verbessern lassen.

Dabei übersieht sie, dass sich zwei Wettbewerber aus dem Markt zurückgezogen haben, und ihr Unternehmen nun das einzige ist, welches solche Produkte noch anbietet. Das Unternehmen hat so auch in der Werbeaufmerksamkeit weniger Konkurrenz, die Social-Media-Kampagnen performen besser.

Die Lösung für mehr Objektivität bei datengetriebenem Marketing: Kontrolle und Horizonterweiterung

Mit datengetriebener Entscheidungsfindung Objektivität zu erreichen, ist dennoch kein hoffnungsloses Unterfangen, wenn es gelingt, die subjektiven Verzerrungen herauszufiltern. Im Gegenteil: mit der richtigen Grundlage und geeigneten Methoden ist der wichtigste Schritt zu objektiven Daten geschafft. Gleichzeitig sollte man unbedingt im Hinterkopf behalten, dass datengetriebenes Marketing eben nicht automatisch objektiv ist.

Denn häufig finden sich vor der Datenanalyse schon Annahmen, die nicht statistisch belegt werden können und den Versuchsaufbau damit stark beeinflussen. Unsere Marketing-Managerin aus dem obigen Beispiel sollte sich dazu schon vor dem Einsatz von Daten Gedanken machen,

  • welche Fragen sie beantworten möchte und
  • warum sie genau diese Fragen für relevant hält.

Denn so wird ihr vermutlich bewusst, dass sie mit den Daten vor allem ihren Wunsch nach mehr Marketing-Budget stützen will. Sie sollte ihren Versuchsaufbau daher besonders kritisch beobachten und eventuell eine, zweite, objektivere Person mit einem anderem Blickwinkel in die Versuchsgestaltung einbinden.

Natürlich ist es nicht grundsätzlich verkehrt, den Versuchsaufbau auf früheren Versuchen zu basieren; ab und zu sollte man aber auch mal den Blick erweitern. Dazu gibt es viele verschiedene Methoden und Möglichkeiten, den eigenen Versuchsaufbau zu überprüfen. So etwa den Kontrollansatz, bei dem in einer Kontrollgruppe die unabhängige Variable weggelassen wird, um zu testen, ob der Effekt trotzdem auftritt.

Eine weitere Möglichkeit liegt darin, weitere relevante Drittvariablen in die Analyse mit aufzunehmen. So fällt in unserem Beispiel schnell auf, dass sich die Umsatzsteigerung und sogar die erfolgreichen Social-Media-Kampagnen vor allem auf die fehlenden Wettbewerber zurückführen lassen. Seine eigenen Datenanalysen so kritisch zu überprüfen, klingt zunächst nach viel Aufwand, lohnt sich aber sehr. Denn im Endeffekt profitieren Mitarbeitende, Unternehmen und Konsumenten von hochwertigen Marketingaktionen, die genau auf die Nutzerbedürfnisse eingehen. 

FAQ

Quellen:

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