Miriam Wohlfarth im Interview: “Ich dachte mir: Wenn ich das jetzt nicht mache, dann macht das jemand anderes”

Von Juliane Becker
Aktualisiert am 12.03.2024 | Lesezeit ca. Min.

Miriam Wohlfarth, geboren 1970 in Trier, ist Gründerin und Managing Director des Zahlungsdienstleisters Ratepay sowie Teil des Vorstands des Bundesverbands Deutsche Startups e. V. Sie ist seit über 20 Jahren Teil der Onlinepayment-Branche und Mitgründerin der Organisation Startup Teens, die Kindern außerhalb des Schulalltags Coding und Entrepreneurship näherbringt. Die Expertin für Digitalwirtschaft gründete im September 2020 ihr neues Startup Banxware, mit dem Kredite an Plattformhändler vergeben werden.

Miriam, was war dein beruflicher Hintergrund, bevor du Ratepay gegründet hast?

Ich bin im Jahr 2000 in die Onlinepayment-Branche eingestiegen und habe dort im Grunde genommen den Anfang des Online-Bezahlens miterlebt. Damals wurde noch ganz wenig im Internet bezahlt und gekauft, das änderte sich dann natürlich in den darauffolgenden Jahren.

Ich habe für ein Unternehmen gearbeitet, das zu dem Zeitpunkt Bibit Global Payment Services hieß (später wurde es zu Worldpay), ein Startup aus Holland, welches sich dem Online-Bezahlen verschrieben hatte. Ich war verantwortlich für den deutschen Markt; meine Aufgabe war es, neue Kunden zu gewinnen. Dazu muss man wissen: Bis 2008 hatten die meisten Onlinepayment-Anbieter nur das Zahlen per Kreditkarte im Angebot, vielleicht noch PayPal. Und von den Kunden kamen eben immer wieder dieselben Fragen: Können Sie nicht auch Ratenkauf anbieten? Und Kauf auf Rechnung, der ist in Deutschland so beliebt?

Ich bin zu meinem Chef gegangen und habe gesagt: Wenn wir in Deutschland Erfolg haben wollen, brauchen wir lokale Zahlarten. Die Deutschen zahlen nun mal gern anders als der Rest der Welt. Er hat das abgelehnt. Das hat mich so frustriert, dass ich es selbst in die Hand nehmen wollte: Es war ganz klar, dass es einen großen Need auf den Seiten der Kunden gibt und niemand da ist, der diese Lücke füllt. Ich dachte mir: Wenn ich das jetzt nicht mache, dann macht das irgendwann jemand anderes. So ist die Idee von Ratepay entstanden. Das war 2009, mitten in der Finanzkrise.

Hat die Finanzkrise die Gründung sehr behindert?

Ja, denn eine der größten Hürden war sicherlich das Kapital. Niemand wollte uns Geld geben. Die haben uns einen Vogel gezeigt: Die ganze Finanzbranche kollabiert, und ihr sagt, ihr wollt Onlinepayment machen! Damals gab es noch nicht die klassischen Funding-Runden und das Investorenverhalten war ein anderes als heute. Was noch erschwerend dazu kam war, dass ich nicht den perfekten Lebenslauf mitgebracht habe, den sich vielleicht ein Investor gewünscht hätte: Keine Eliteuni, kein Studium.

Über einen Freund kam schließlich der Kontakt zur Otto-Gruppe zustande, die dann schlussendlich in uns investiert haben. Das war eine große Rettung und eine tolle Zusammenarbeit, die dann 2011 in der kompletten Übernahme von Ratepay durch Otto gipfelte (seit 2017 gehört Ratepay als eigenständige Payment-Marke innerhalb des Nets-A/S-Netzwerks zu Advent International und Bain Capital, Anm. d. R.).

Eine weitere Herausforderung neben der Finanzierung war das Team. Ich habe Ratepay mit zwei ehemaligen Geschäftspartnern gestartet, von denen der eine bereits kurze Zeit später abgesprungen ist. Der zweite verließ mich mit der Übernahme von Otto 2011. Auf einmal war ich allein, mit einer guten Idee, aber ohne Gründungserfahrung, mitten in der Finanzkrise.

Was hat Otto von Ratepay überzeugt?

Da zu diesem Zeitpunkt der Rechnungskauf bei Otto die beliebteste Bezahlart war, denke ich, war es vor allem unsere Idee, den Rechnungskauf zu demokratisieren, sodass auch kleinere Händler ihn anbieten können. Das Schwierige am Rechnungskauf ist ja zum einen die Bonitäts- und Risikoprüfung, zum anderen diese ganzen nachgelagerten Prozesse: Zahlungen zuordnen, Zahlungserinnerungen schreiben, Mahnungen verschicken, an das Inkasso geben usw. Das fand Otto total spannend.

Warum mögen wir Deutschen den Rechnungskauf so sehr? Er ist seit Jahrzehnten die beliebteste Bezahlmethode der Deutschen.

Es hat sich zwar in den letzten Jahren einiges verändert, was Zahlungspräferenzen angeht, aber dass der Rechnungskauf immer noch so beliebt ist, hat meiner Meinung nach verschiedene Gründe.

Zum einen ist es die Gewohnheit und das gelernte Verhalten – in Deutschland gibt es, seit es Kataloge gibt, den Kauf auf Rechnung – und zum anderen ist da der Aspekt der Privatsphäre. Es gibt kaum ein Land, in dem das Datenschutzthema so präsent ist wie in Deutschland. Der Vorteil beim Rechnungskauf ist da, dass die persönlichen Daten nicht bei irgendeinem Anbieter gespeichert werden. Man braucht eigentlich nur seinen Namen und die Adresse, die der Shop ja sowieso hat. Man benötigt kein Passwort, keine sensiblen Kontonummern, man muss sich nirgendwo einloggen. Das ist einfach sehr angenehm aus Sicht des Datenschutzes.

Und nicht zuletzt sind die Deutschen nun mal sehr effizient und Effizienz hat auch etwas mit dem Thema Liquiditätsplanung zu tun.

Inwiefern?

Gerade im Segment Bekleidung wird viel zurückgeschickt. Man bestellt, wählt das aus, was man behalten möchte, und sendet den Rest zurück. Wenn ich das Ganze per PayPal oder per Kreditkarte mache, dann wird das heute abgebucht. Das Geld erhalte ich erst wieder zurück, wenn die Retoure erfasst wurde, und das kann eine Weile dauern. Ich gehe also in Vorleistung und muss warten, bis mir das Geld wieder gutgeschrieben wird. Und manchmal ist das ja eine recht hohe Summe.

Bei der Rechnung geht man aber nicht in Vorleistung, sondern zahlt erst nach 14 Tagen – nach Erhalt der Ware –, manchmal auch sogar erst nach 30 Tagen. So lässt sich die eigene Liquidität besser managen.

Wobei PayPal in anderer Hinsicht sehr effizient ist: Mit einem Klick bezahle ich und muss nicht einmal meine Adresse eingeben.

Da kommt dann vielleicht wieder der Datenschutz ins Spiel. Viele mögen es einfach nicht, dass ihre Daten irgendwo in Amerika liegen. Ich mag PayPal sehr gern, damit zahle ich am häufigsten, aber ich bin sicher nicht der Otto Normalverbraucher. Allein schon deshalb, weil ich seit 20 Jahren in der Digitalbranche arbeite.

Wenn ich mir meine Eltern ansehe, die in Süddeutschland in einem kleinen Ort leben und trotz ihres Alters sehr progressiv eingestellt sind, dann kaufen die trotzdem am liebsten per Rechnung. Die sind auch eine weitere wichtige Zielgruppe, an der man sich als Händler orientieren sollte.

Wer als Onlinehändler zu wenig Zahlungsmöglichkeiten anbietet, verärgert seine Kunden. Was sind aus deiner Sicht weitere Fehler zum Thema Payment, die E-Commerce-Unternehmen begehen?

Der mündige Kunde heute erwartet eine bequeme und einfache Lösung – ähnlich wie Amazon. Oftmals ist die Kreditkarte schlecht integriert, sodass es für den Kunden mühsam ist, den Prozess der Authentifizierung durchzuführen.

Am Anfang steht immer die Frage: Mit welcher Zahlungsart bezahlt denn meine Zielgruppe überhaupt gerne? Wenn ich weiß, wer bei mir einkauft, brauche ich keine sieben Zahlungsarten, da reichen vielleicht drei. Ich denke, es ist ein Fehler, wenn man sich in dieser Hinsicht zu wenig Gedanken macht.

Außerdem finde ich es manchmal traurig, dass die Letzte Meile im Shop, also das Bezahlen, so oft so schlecht durchdacht ist. Da wird für die Darstellung der Waren extrem viel Geld ausgegeben, damit der Kunde seine Bedürfnisse befriedigt sieht, aber wenn's ans Bezahlen geht, wird oft nicht darauf geachtet, dass es für den Kunden bequem ist. Die Kreditkarte ist dabei nicht immer die beste Option.

Viele Deutsche haben nicht einmal eine Kreditkarte.

Ich halte es deshalb für sinnvoll, das Thema Payment an einen guten Zahlungsdienstleister auszulagern, sobald man mehr als nur den Rechnungskauf anbietet. Der bietet sowohl Beratung als auch einen größeren Sicherheitsfaktor, weil er sich schlichtweg besser auskennt, was Dinge wie Identitäts- und Eingehungsbetrug angeht und Sicherheitsmaßnahmen implementieren kann, die das Zahlungsausfallrisiko für den Händler minimieren.

Betrug ist im E-Commerce praktisch allgegenwärtig und zunehmend professionalisiert. Welche Strategien werden bei Ratepay angewendet, um Betrug zu verhindern?

Wir haben ein mehrstufiges Risikomanagementsystem und nutzen künstliche Intelligenz für die Betrugserkennung. Das System besteht aus mehreren Datenpunkten, die miteinander in Verbindung gebracht werden, aus denen wir dann Muster erkennen und potenzielle Betrugsversuche abwehren können.

Ein Teil dieser Datenpunkte sind die sogenannten Velocity-Checks. Das heißt: Wir prüfen, woher die IP-Adresse kommt, woher das Device stammt, ob es schon einmal Probleme gab und ob es seltsame Abweichungen gibt. Wenn zum Beispiel die IP-Adresse aus Rumänien stammt, das Device in den USA ist, die Lieferadresse aber in Deutschland liegt, ist das eher zweifelhaft. Wir checken natürlich auch unsere eigenen Daten. Heute kennen wir ungefähr 60 Prozent aller Deutschen, die haben schon mal in irgendeiner Form über uns eingekauft. Wir wehren täglich Hunderte Versuche des Identitätsbetruges ab.

Wenn wir glauben, dass kein Risiko für Betrug besteht, prüfen wir die Bonität. Dieser Check ist weniger aufwendig, wenn es sich um einen kleineren Warenkorb handelt. Ist der Bestellwert sehr groß, arbeiten wir mit Auskunfteien zusammen.

Der Inhalt eines Warenkorbs ist auch oft sehr aufschlussreich. Betrüger kaufen bestimmte Produktgruppen wie Handys, Spielekonsolen, Kleidung und Sneakers im großen Stil, manchmal auch Socken einer bestimmten Marke – also Waren, die man schnell weiterverkaufen kann und wenig Lagerkosten verursachen.

Einige Betrugsfälle werden aber erst kurz nach dem unmittelbaren Bestellzeitpunkt entdeckt. Damit wir Händler und Kunden trotzdem vor dem Betrüger schützen können, werden die der Bestellung nachgelagerten Prozesse technisch immer stärker miteinander verknüpft, sodass ein Paket auch noch im allerletzten Moment aus der Lieferkette gefischt werden kann. Besonders die großen Logistikdienstleister bieten mittlerweile Services zur Paketrückholung an.

Inwiefern spielen KI und Machine Learning eine Rolle für Ratepay?

KI und Machine Learning sind ein zentraler Bestandteil unseres Risikosystems, in das wir stark investieren. Besonders in der kommenden Zeit werden wir diesen Bereich mit weiterem Personal und Investitionen stärken, denn im Prinzip sind die Maschinen ja nur so schlau wie das, was wir ihnen antrainieren.

Um in dieser Hinsicht am Ball zu bleiben, haben wir erst kürzlich ein ganz neues Managementteam aufgestellt, das sich in seinen Stärken und seiner Expertise, wie ich finde, sehr gut ergänzt: Neben mir sind jetzt Nina Pütz und Luise Linden in der Geschäftsführung. Nina Pütz kommt aus dem E-Commerce und war viele Jahre in führenden Positionen bei eBay tätig. Sie denkt also sehr stark aus Händlersicht und kennt den Markt sehr gut. Luise Linden ist unsere CTO und sorgt schon seit vielen Jahren dafür, dass Tech ein wichtiger Bestandteil unserer DNA ist und bleibt. Gemeinsam mit unserem bestehenden Managementteam sind wir damit sehr gut für die kommende Zeit aufgestellt.

Du hast dich jetzt zum zweiten Mal innerhalb einer Krise für eine Gründung entschieden: Banxware. Wie kam es dazu?

Bei Banxware kamen zwei Komponenten zusammen: Da war Jens Roehrborn, Banxwares Co-Gründer, der als Fintech-Jurist den Bedarf nach integrierten Finanzdienstleistungen erkannt hatte. Und ich, die seitens Ratepay von Kunden immer wieder nach integrierten Finanzprodukten gefragt wurde.

Für uns stand also fest: Der Bedarf ist da, wer macht’s? Und da wir den Fokus von Ratepay beibehalten wollten, musste ein neues Unternehmen her. So kam es zu Banxware.

Was genau ist unter integrierten Finanzprodukten zu verstehen?

Der ganze E-Commerce geht immer mehr in Richtung Plattformen und Marktplätze. Wenn du jetzt also ein E-Commerce-Händler bist und alle deine Produkte oder Dienstleistungen über Plattformen vertreibst, hast du eine große Auswahl an Plattformen. Du wählst schließlich diese, welche dir den größten Mehrwert bietet.

Daher ist es für Plattformen sinnvoll, weitere Möglichkeiten für ihre angeschlossenen Händler zu schaffen, um sich auf diese Weise von der Konkurrenz abzuheben. Du wählst vielleicht eher eine Plattform, über die du zum Beispiel auch einen Kredit aufnehmen kannst, anstatt zu deiner Bankfiliale zu laufen. Unsere Vision ist es, Unternehmen – also non-banks und Plattformen – zu ermöglichen, ihren Händlern Finanzprodukte anbieten zu können. Aktuell ist unser erstes Produkt die integrierte Kreditvergabe, wir bereiten gerade aber noch viel mehr vor.

Auf welche Dinge achtest du ganz persönlich, wenn du online einkaufst?

Mir ist es wichtig, dass alles schnell geht. Und ich persönlich achte natürlich auch sehr stark auf die Zahlungsarten. Wenn ein Shop nicht Kauf auf Rechnung anbietet, würde ich am liebsten direkt anrufen und fragen, weshalb sie sich all die Kunden entgehen lassen. Ich mache oft Screenshots von besonders guten oder besonders schlechten Checkouts und schicke die dann den Kollegen (lacht).

Vielen Dank für das Interview!
Bildquelle: © Miriam Wohlfarth

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