Positive Fehlerkultur einführen: Definition, Beispiele und Strategien für dein Unternehmen

Von Steffen Grigori
Aktualisiert am 22.03.2024 | Lesezeit ca. Min.

Ein unvorsichtiger Moment hier, eine Fehlentscheidung dort – schon lässt sich ein Fehler nicht mehr vermeiden. Der erste Gedanke ist oft, dass dieser Fehltritt Konsequenzen haben wird. Aber muss das wirklich sein? Wäre es nicht sinnvoller, anstelle von Schuldzuweisungen nach den Gründen des Scheiterns zu suchen und darin sogar Entwicklungspotenziale zu finden?

In diesem Artikel erfährst du, wie du die Innovationskraft von Fehlern in deinem Unternehmen voll ausschöpfst und eine positive Fehlerkultur zum Standard machst.

Zur Definition: Fehlerkultur in Unternehmen

Es ist eine unliebsame Wahrheit, die wir uns aber dennoch einzugestehen haben: unsere eigene Fehlbarkeit. Nun liegt die Fähigkeit des Menschen aber eben gerade nicht darin, zu scheitern und aufzugeben. Im Gegenteil: Wir lernen aus unseren Fehlern, versuchen sie frühzeitig zu erkennen und sie zukünftig zu vermeiden.

Wo immer Menschen zusammenkommen, kristallisiert sich dementsprechend ein bestimmter Umgang mit Fehlern heraus: eine Art und Weise, Fehler zu betrachten, zu bewerten und damit umzugehen. Die sogenannte Fehlerkultur definiert dabei den Rahmen für diesen Umgang.

Ein Unternehmen bildet mit seiner eigenen Unternehmens- und Fehlerkultur dabei keine Ausnahme. Aber nicht jedes Unternehmen pflegt auch eine konstruktive und offene Fehlerkultur.

Fehlermanagement: „The German Fehlerkultur“

Mit welcher Unnachsichtigkeit gerade in der deutschen Unternehmenslandschaft Fehler geahndet werden, konnte jüngst der Fehlerforscher Professor Michael Frese von der Leuphana Universität Lüneburg nachweisen.

In seiner Studie verglich er die Fehlertoleranz von 61 Ländern miteinander – mit einem niederschmetternden Ergebnis: Deutschland belegt den vorletzten Platz seiner Weltrangliste und sichert sich damit nur einen knappen Vorsprung vor Singapur – einem Land, das noch an öffentlichen Züchtigungen mit dem Rohrstock festhält.

Daran zeigt sich die Brisanz im Umgang mit der deutschen Fehlerkultur: Fehltritte scheinen unverzeihlich, der Verantwortliche ist ausfindig zu machen und entsprechend zu bestrafen.

Aber bei einer unnachgiebigen Fehlertoleranz leidet nicht nur der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen und Organisationen. Auch die Gesundheit und Sicherheit von Menschenleben steht auf dem Spiel.

Probleme und Risiken einer negativen Fehlerkultur: Beispiel Krankenhauspersonal

Trotz ihrer gewissenhaftesten Bemühungen werden Ärzte und Pflegepersonal unweigerlich Fehler machen – sei es durch den psychischen oder zeitlichen Druck am Arbeitsplatz oder auch einfach durch rein menschliche Faktoren.

Aber wenn sich angesichts drohender Sanktionen kaum jemand traut, seine Fehler offen einzugestehen, drohen fatale Folgen. Michael Frese gibt diesbezüglich zu bedenken, dass Mediziner und Pflegepersonal aus Angst vor negativen Konsequenzen lieber versuchen, ihre Fehler unter den Teppich zu kehren. Der Fehler wird vertuscht. Das offene Gespräch und die Lösungssuche mit der Klinikleitung oder dem Patienten bleiben aus.

Über diese prekäre Situation berichtete auch der SWR in einer pointierten und sehenswerten Doku:

Wie die statistische Erhebung der Bundesärztekammer berichtet, starben im Jahr 2020 allein in den deutschen Krankenhäusern rund 10.000 Patienten durch Behandlungsfehler. Konkrete Zahlen über vermeidbare Behandlungsfehler gibt es zwar nicht, jedoch rechnet Dr. Marcus Rall vom Institut für Patientensicherheit mit rund 300.000 schweren Behandlungsschäden jährlich.

So plädiert Frese dazu, langfristig eine neue Sicht auf Fehler zu etablieren: Da menschliche Fehler als erwartbare Ereignisse betrachtet werden müssen, gilt es, neue Arbeitsstrukturen zu implementieren: Fehler müssen erfasst, ihre Hintergründe analysiert und Gegenmaßnahmen getroffen werden. So kann aus Fehlern neues Wissen generiert werden, um dadurch zu einer generellen Minderung von Fehlerrisiken beizutragen.

Die Vorteile einer positiven Fehlerkultur für dein Unternehmen

Eine positive Fehlerkultur definiert sich dadurch, dass sie Fehler (oder eine Fehlerkette) anerkennt und sich auf die darin enthaltenen Lernmöglichkeiten konzentriert. Wirfst du einen Blick darauf, was genau schiefgelaufen ist, weißt du genau, was in Zukunft besser gemacht werden kann. So bist du stets offen für Innovationen, denn die Angst vor Konsequenzen bremst den kreativen Mut deiner Mitarbeiter.

Gelten Fehler als menschlich und gibt es klare Regeln für den Umgang mit Fehlerfolgen, hat dein Unternehmen mehr Raum für kreative Entwicklungen. Aus diesem Grund möchten Mitarbeiter spüren, dass ihre Fehler offen kommuniziert und im Team konstruktive Lösungsansätze erarbeitet werden können.

Dies belegen auch die Umfragewerte der befragten Arbeitnehmer aus der „So arbeitet Deutschland-Trendstudie“:

  • 86 Prozent wünschen sich mehr Fehlertoleranz.
  • 66 Prozent möchten ihre Fehlerfolge zur Weiterentwicklung nutzen.
  • 63 Prozent wünschen sich einen offenen Umgang mit Fehlern.

Wie du siehst, wirst du bei deiner Belegschaft mit einer positiven Fehlerkultur auf offene Ohren stoßen. Wenn diese Einsicht auch in deinem Unternehmen vorherrscht, wird dir die Umsetzung zu einem konstruktiveren Umgang mit Fehlern garantiert erleichtert.

Tipps für eine offene Fehlerkultur

Jetzt weißt du, weshalb eine positive Fehlerkultur für Unternehmen so wichtig ist. Es folgen fünf Tipps für eine Unternehmensatmosphäre, in der niemand das Bedürfnis hat, sein Fehlverhalten zu vertuschen.

Analysieren

Beim Thema Fehlerkultur setzt jedes Unternehmen an einem anderen Punkt an. Wurden Fehler vorher rigoros geahndet und dann abgehakt, ist es noch ein langer Weg Richtung positive Fehlerkultur.

Um den Status quo genauer zu betrachten, stellst du dir am besten folgende Fragen:

  • Welche Fehler treten in meinem Unternehmen auf?
  • Gibt es Prozesse, in denen Fehler besonders häufig vorkommen?
  • Nimmt das Unternehmen den Lerneffekt wahr, den ein Fehler mit sich bringt?
  • Neigen die Mitarbeiter dazu, ihre Fehler lieber vertuschen zu wollen?
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Fehlerkultur im Unternehmen analysieren: Anonymität lautet das Zauberwort

Du möchtest deine Mitarbeiter direkt nach ihrer Meinung zur gelebten Fehlerkultur in deinem Unternehmen befragen? Dann denk daran, ihre Anonymität zu wahren. Am besten stellst du deinem Team eine anonyme Online-Umfrage zur Verfügung. Damit nimmst du ihnen die Angst vor negativen Konsequenzen durch ehrliche Antworten und erhältst zugleich eine transparente Einsicht über die Stärken und Schwächen eurer Fehlerkultur. So weißt du genau, an welchen Stellschrauben noch gedreht werden muss.

Transparenz

Jetzt weißt du also, wo du und dein Team stehen. Zeit, um zu klären, wo ihr hinwollt.

Ein wichtiger Bestandteil einer konstruktiven Fehlerkultur ist ihre Transparenz. Achte deshalb darauf, bei der Definition der Rahmenbedingungen festzulegen, welche Fehltritte überhaupt als Fehler einzustufen sind.

Ist ein Rechtschreibfehler in einem offiziellen Schreiben schon Grund genug für ein Feedbackgespräch? Ab wann sprichst du von Fehltritten, Fehlern, Irrtümern oder Misserfolgen? Am besten gibst du deinen Mitarbeitern Sicherheit, indem du klar kommunizierst, ab wann ein Verhalten als fehlerhaft gilt.

Respekt und Vertrauen

Mit Fehlern sind viele Emotionen verbunden: Bedauern, aber auch Schuld, Scham und Angst davor, beschuldigt zu werden. Was du dagegen tun kannst? Betrachte den Fehler sachlich und suche mit deinem Team gemeinsam nach Lösungen. Mach deinen Mitarbeitern klar, dass der Fehler das zu lösende Problem darstellt, unabhängig von der damit verbundenen Person.

Anstatt also zu fragen, wer etwas getan hat, ist es wichtiger zu fragen, wie es überhaupt dazu kommen konnte.

Feedback

Der Grundstein für eine offene Fehlerkultur in deinem Unternehmen ist gelegt. Jetzt müssen diese Ideen nur noch Eingang in den Arbeitsalltag finden. Dazu ist es wichtig, Ausfälle durchgehend zu erfassen.

Anstatt am Ende eines großen Projekts alles aufzulisten, was schief gelaufen ist, solltest du schon während des Projekts aktiv werden. Nur durch regelmäßiges Feedback erfahren deine Mitarbeiter, wie du ihre Leistung bewertest.

Vorbildfunktion

Die eigene Fehlbarkeit zuzugeben, ist ein wichtiger Punkt in einer offenen Fehlerkultur. Denn nur, wenn du dich an deine eigenen Maßstäbe halten kannst, werden es die anderen auch tun.

Bist du an einem Punkt gescheitert? Dir fehlt eine Idee, wie du einen Fehler korrigieren kannst? Dann sprich mit deinem Team darüber. Führe deinem Team vor, wie wichtig dir eine gemeinsame Suche nach Lösungen ist.

Fazit: Von der Fehlerkultur zur Lernkultur

Die Implementierung einer offenen Fehlerkultur braucht Zeit. Umso wichtiger ist es für Führungskräfte, von Anfang an zu kommunizieren, wie mit Fehlern idealerweise umgegangen werden sollte.

So kann sich Schritt für Schritt ein neuer unternehmerischer Umgang mit Fehlern in deinem Team etablieren. Zeige deinen Mitarbeitern, welch positives Potenzial Fehlern zugrunde liegt, und wie ihr gemeinsam aus Fehlern lernen könnt.

5 Praxistipps für eine erfolgreiche Fehlerkultur

FAQ

An dieser Stelle möchten wir auf einige Fragen, die im Zusammenhang mit dem Thema positive Fehlerkultur häufig gestellt werden, eingehen.

Quellen:

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