Tarek Müller, geboren 1988 in Hamburg, ist Unternehmer und Mitgründer sowie Geschäftsführer Marketing & Brands von ABOUT YOU. 2004, mit 15 Jahren, gründet er sein erstes Unternehmen und baut in den darauffolgenden Jahren diverse eigene Online-Shops auf, unter anderem für Shishas. Als ein Lieferant, dem Tarek Müller Vorkasse leistet, nicht liefert, schrammt er um ein Haar an der Privatinsolvenz vorbei. Um die Schulden loszuwerden, verkauft er mehrere seiner Shops und gründet unter anderem die Managementberatung eTribes. ABOUT YOU könnte als Hamburgs erstes Unicorn mit einer Unternehmensbewertung von über einer Milliarde US-Dollar sein bislang erfolgreichstes Projekt sein.
Tarek, ABOUT YOU ist mittlerweile in 19 Ländern aktiv. Was waren für euch die wichtigsten Wachstumstreiber der letzten paar Jahre?
Das waren im Wesentlichen drei Dinge: Zum einen haben wir innerhalb unserer Kernmärkte immer mehr Marktanteile gewonnen und konnten Neukunden zu loyalen Bestandskunden machen. Dann gab es natürlich unsere geografische Expansion; wir sind alleine in den letzten zwölf Monaten in rund 15 neuen Ländern gestartet. Der dritte Wachstumstreiber war die Kategorie-Erweiterung. Wir haben unser Sortiment stetig vergrößert und neue Kategorien wie Sport, Kids und Special Sizes eingeführt. Das hatte zur Folge, dass wir den sogenannten Share of Wallet bei unseren Kunden erhöhen konnten. Das heißt, dass Kunden immer mehr bei uns einkaufen, weil wir vielfältige Bereiche und Bedürfnisse abdecken können.
Einer der wichtigsten USPs von ABOUT YOU ist die Personalisierung. Wie viel Potenzial siehst du noch in diesem Bereich?
Ich glaube, da ist noch extrem viel Luft nach oben. Es ist natürlich schön, dass die Kunden die Personalisierung bei ABOUT YOU schon jetzt als sehr gut wahrnehmen, aber wir sind noch am Anfang von dem, was aus unserer Sicht möglich sein wird. In der Zukunft wirst du dann einen digitalen Avatar von dir haben, wo du die Artikel an dir siehst, bevor du sie kaufst, wo du Dinge wie beispielsweise die Passform bereits abschätzen kannst und nicht erst dann, wenn du die Ware in der Hand hältst.
Du hast mal gesagt, du erwartest, dass die Lieferzeiten im Onlinehandel auf 90 Minuten schrumpfen werden. Wie realistisch ist das wirklich?
Es kann bestimmt nicht jeder Artikel so schnell geliefert werden, aber einen gewissen Teil der Artikel, wird man, meiner Meinung nach, in schneller Geschwindigkeit geliefert bekommen, wenn man nicht gerade sehr ländlich lebt. Das funktioniert dann auf der einen Seite über City-Hubs von Großhändlern, also kleine Zwischenlager, auf der anderen Seite wird das Inventar der Offline-Läden angeschlossen.
Wenn du dann beispielsweise ein Tommy Hilfiger-Produkt möchtest, können wir deinen Wohnort lokalisieren, die Entfernung zum nächsten Tommy Hilfiger-Store ermitteln, der das Produkt vorrätig hat, und du kannst es sofort im Laden abholen. Alternativ schicken wir es direkt aus diesem Tommy Hilfiger-Laden oder aus einem unserer Zentrallager zu dir. Insofern ist diese 90-Minuten-Lieferung damit verbunden, dass wir das Inventar, welches offline vorliegt, digitalisieren und verfügbar machen. Dadurch können wir die Logistik deutlich effizienter handhaben und ein noch größeres Sortiment und eine bessere Warenverfügbarkeit ermöglichen.
ABOUT YOU präsentiert sich mittlerweile nicht nur als Händler, sondern als ein Medienunternehmen. Ihr entfernt euch von den klassischen Ad-Netzwerken, ihr habt eine eigene Fashion-Show, einen eigenen Award. In welcher Hinsicht rechnet sich all das für euch?
Zum einen haben wir das Ziel, unsere Marke offline erlebbar zu machen für diejenigen, die vor Ort sind. Zum anderen möchten wir natürlich Aufmerksamkeit über Social Media generieren, indem wir Leute mit hoher Reichweite einladen, die dann vor Ort das Geschehen dokumentieren. Dadurch werden Reichweiten erzielt, die wir allein gar nicht erzeugen könnten.
Das ist vor allem für die Zielgruppe der unter 30-Jährigen wichtig. Diese erreicht man nicht mehr über Massenmedien wie das Fernsehen; Social Media ist da zwingend notwendig. Deshalb gehen wir auch unabhängig von diesen Events sehr viele Kooperationen mit Persönlichkeiten ein, die auf Instagram oder TikTok unsere Produkte präsentieren.
Welche Social-Media-Plattform ist aktuell am wichtigsten für euch?
Auf jeden Fall Instagram und TikTok. TikTok gewinnt allerdings immer mehr an Bedeutung. Facebook ist auch noch relevant, sogar relevanter, als man denkt. Bei jungen Leuten bekomme ich manchmal das Gefühl, sie sind der Meinung, Facebook existiere gar nicht mehr
Wenn du nur 10.000 Euro Budget für Werbung hättest, wie und wo würdest du es einsetzen?
Für Instagram. Mit 10.000 Euro würde ich wahrscheinlich versuchen, zwei bis drei Influencer herauszusuchen und mit ihnen was Außergewöhnliches und Kreatives auf die Beine zu stellen. Influencer-Marketing ist absolut kein Allheilmittel, aber bei nur 10.000 Euro fallen viele alternative Kanäle weg. Gut umgesetztes Influencer-Marketing mit den richtigen Leuten und einem perfekten Match aus Produkt und Zielgruppe kann sehr wirksam sein. Wobei ich persönlich behaupten würde, dass 80 Prozent aller Budgets, die ins Influencer-Marketing laufen, völlig verschwendet sind. Entweder passen Produkt und Zielgruppe nicht zusammen oder die Kampagne wurde schlichtweg schlecht umgesetzt.
Was macht ABOUT YOU im Customer Relationship Management anders als andere E-Commerce-Unternehmen?
Erstmal haben wir, genauso wie im Marketing, auch im CRM einen hohen Grad an Automatisierung und Personalisierung. Dadurch sind wir in der Lage, sehr persönliche und relevante Newsletter sowie CRM-Messages an unsere Kunden zu schicken, ohne dass wir sonderlich viele Leute dafür brauchen. Dann schauen wir uns ganz genau an, wann wir wie viele Messages an unsere Kunden schicken. Es sollten nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige sein. Dahinter steckt eine gewisse Datenintelligenz. Wir versuchen nicht zuletzt, unsere Kunden mit jedem Newsletter zu inspirieren. Ich bin der Meinung, dass viele Onlinehändler sehr langweilige Newsletter versenden, die einfach fünf Produkte präsentieren und das war’s. Ähnlich wie ein Modemagazin möchten wir zusätzliche Inspiration liefern. Umgesetzt bedeutet das: “Du suchst eine Hose? Hier sind ein paar Hosen, die auf Basis deines persönlichen Geschmacks genau das Richtige für dich sein könnten“ und “Hey, was hältst du von dieser Bluse? Boho ist gerade im Trend, das könnte dir auch gefallen“.
Was sind deiner Meinung oder deiner Erfahrung nach drei Todsünden, die ein E-Commerce-Unternehmer begehen könnte?
Erstens sollte man seine gesamte Operations- und Servicekette im Griff haben. Sich
lediglich darauf zu fokussieren: “Was hebt mich von Amazon ab?“ und dabei zu vergessen, dass man auch erst einmal die Amazon-Leistung sicherstellen muss, ist ein Fehler, den man nicht begehen sollte. Kein Kunde kauft bei einem Online-Shop, weil die Lieferung schnell ist, weil die Preise stimmen und weil das Paket vernünftig ankommt. Das sind nicht die Gründe, warum jemand bei dir kauft, aber es sind die Gründe, warum jemand nie wieder bei dir kaufen wird, wenn es nicht funktioniert.
Ich erlebe oft, dass sich E-Commerce-Player so sehr darauf fokussieren, etwas besser oder anders zu machen als die Konkurrenz, dass sie vergessen, erst einmal das vernünftig zu machen, was der Kunde voraussetzt: Schnelle Lieferung, guter Service, vernünftige Produkte, ordentliche Verpackung, alle Zahlarten, die man sich wünscht, eine schnelle und einfache Retouren-Bearbeitung, ein richtiger Preis, eine richtige Produktpräsentation auf der Webseite, gute Beschreibungen der Artikel und vieles mehr. Wenn all das nicht einwandfrei läuft, ist das für den Kunden ein No-Go.
Wenn das alles sichergestellt ist, ist aus meiner Sicht die zweite Todsünde, sich dann nicht zu überlegen: “Was hebt mich von anderen ab?“ Denn natürlich muss man sich abheben von den unzähligen E-Commerce-Playern, die es heute gibt. Einfach ein zweites Amazon, ein zweites ABOUT YOU, ein zweites Zalando in die Welt zu setzen, wird nicht zum Erfolg führen oder nicht dafür sorgen, dass ein Kunde bei einem bestellt, weil es Amazon, ABOUT YOU und Zalando eben schon gibt.
Die dritte Todsünde ist, zu glauben, dass der Status quo für immer reicht. Egal, welches Service-Level man heute hat, morgen werden die Anforderungen höher sein. Egal, welchen USP man sich als E-Commerce-Händler erarbeitet hat, es wird andere geben, die ihn nachmachen oder besser machen. Man darf nie stehen bleiben, man muss sich ständig überlegen: “Was hebt mich jetzt wieder vom Rest ab?, “Was macht die Konkurrenz?“ und “Wie kann ich in Hinblick auf mein Service-Level gleichziehen oder andere sogar übertreffen?“ Stillstand ist der absolute Tod im E-Commerce, weil Konsumenten extrem schnell weg sind.
Inwiefern habt ihr festgestellt, dass die Anforderungen an das Service-Level stetig steigen?
Dauert eine Lieferung zu lange, geht irgendwas schief in der Kette, dann ist der Kunde unglücklich. Das sehen wir in all unseren Net Promoter Score-Abfragen. Als Folge stellen wir fest, dass die Wahrscheinlichkeit der Wiederbestellung deutlich sinkt. Eine schlechte Produktpräsentation und der falsche Preis sind ebenfalls echte Killer. Wirklich alles muss stimmen. Wenn eine Sache nicht stimmt, bedeutet das: Der Kunde wird wahrscheinlich nicht wiederkommen. Man sagt immer: Retail is Detail. Und das ist auch so. Man muss jeden Step in der Kette richtig machen. Nur dann gibt der Kunde dir überhaupt die Chance, dass du ihm erzählen darfst, was dich abhebt von der Konkurrenz.
Vielen Dank für das Interview!
Bildquelle: © ABOUT YOU